Rituelles Kräftemessen

Psychoanalytischer Okkultismus: „A Dark Song“, auf Disc bzw. Prime Video oder Apple TV

Schwarze Magie nutzt Liam Gavin in „A Dark Song“ als Horrorfolie, um die Verfasstheit seiner Figuren zu studieren.

Er habe seine Geschichte als einen christlichen Film konzipiert, sagt Regisseur Liam Gavin über A Dark Song, sein Langfilmdebüt von 2016. Es sei wie bei Augustinus: Es muss einer – eine in diesem Fall – erst ganz hinab in die Dunkelheit, bevor es wieder hinaufgehen kann ins Licht. Der Sohn von Sophia (Catherine Walker) ist aus dem Kindergarten entführt und ermordet worden. Die innerlich zerstörte Mutter kauft ein altes Landhaus in der Einöde von Wales und beauftragt einen Okkultisten, Solomon (Steve Oram), mit der Durchführung eines schwarzmagischen, sich über Monate ziehenden Rituals. Um noch einmal mit ihrem Kind zu sprechen, wie sie sagt.

Mit großer inszenatorischer Ausdauer, die einen die verstreichende Zeit spüren lässt, werden in ruhigem Rhythmus die aufeinanderfolgenden Schritte in die Dunkelheit vorgeführt, die Versiegelung des Hauses, Waschungen, Fasten, das Durchschreiten der verschiedenen Zirkel et cetera. In der erhabenen Landschaft (es gibt wunderschön düstere Naturaufnahmen in diesem Film, der ansonsten in weiten Teilen ein Kammerspiel ist) entfaltet sich eine Geschichte, die den Horrorfilm eher als Folie nimmt, sich aber vor allem für die Psychologie der Figuren interessiert und nicht für typische Affektklaviaturen des Genres. Das zähe Wiederholen der rituellen Handlungen, die wachsende Anspannung, die Verhärtung der Figuren, für all das findet die von Ray Harman komponierte spröd-fragile Drone-Musik eine klangliche Entsprechung.

Steve Oram, Catherine Walker in A Dark Song

A Dark Song nimmt sich die Zeit und die Ruhe, die Verfasstheit seiner Figuren geradezu analytisch durchzudeklinieren. In diesem Sinne steht er in der ehrwürdigen Tradition von Rosemary’s Baby. Solomon ist ein verloren wirkender Machtmensch, der sein Geheimwissen gebraucht um zu dominieren. A Dark Song inszeniert die Durchführung der Rituale als Kräftemessen zwischen seinen beiden Figuren, alles dreht sich um die Frage, was stärker ist, Wissen als Macht – oder die Stärke, die aus dem Schmerz einer radikalen Verzweiflung kommt. Mystisches verbindet sich mit dem Banalen und Obszönen, und als der Okkultist es an einer Stelle dann doch zu weit treibt, pinkelt Sophia Solomon in die Suppe. „Es gibt zwei Arten, Gutes zu tun: Geben und Vergeben“, schreibt Augustinus.

Das alles läuft weitgehend ohne Effektbrimborium ab: Mal knallt ein Vogel gegen das Fenster, dann gibt es einen Knall oder man hört Stimmen, die nicht da sein sollten. Diese genreuntypische Zurückhaltung ändert sich im Finale, das dann, obgleich stilsicher und effektiv inszeniert, auf gängige Terrormethoden setzt und in einer wahrhaft christlich gedachten Auflösung endet, die man – je nachdem, was man als Zuschauer so an Glauben, Moral und sonstigen Maßstäben und Ideen mitbringt – cheesy oder bewegend finden kann. Verstehen kann man die Figuren, die ihre Wünsche von den Dämonen und Schutzengeln erfüllt sehen wollen, aber so oder so. Die Mutter, deren Sohn gestorben ist, eh; und das Begehren Solomons, unsichtbar zu werden, um so der Welt zu entfliehen, wird den meisten, die sich gerne in dunkle Säle setzen, um Menschen zu betrachten, von denen sie nicht gesehen werden können, nicht fremd sein.

„A Dark Song“ ist bei Camera Obscura auf Blu-ray erschienen und enthält neben Interviews, entfallenen Szenen und Storyboards auch die vier ersten Kurzfilme von Liam Gavin (womit das bisherige Gesamtwerk Gavins – von zwei Folgen der Netflix-Serie Spuk in Bly Manor abgesehen – hier versammelt ist). Das Mediabook bietet darüber hinaus einen Buchteil mit einem Essay von Marcus Stiglegger und Produktionsnotizen von Liam Gavin.

„A Dark Song“ gibt es gegen Entgelt auch auf Prime Video bzw. Apple TV.

 

A Dark Song
USA 2016, Regie Liam Gavin
Mit Steve Oram, Catherine Walker, Susan Loughnane, Mark Huberman
Laufzeit 100 Minuten