Die Wüste lebt

Animal Horror par excellence: „Nope“ – jetzt im Kino (AT/DE)

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Nope, 2022, Jordan Peele

Starregisseur Jordan Peele schlägt wieder zu: „Nope“ vermählt Science Fiction und Animal Horror und erinnert dabei nicht zufällig an Spielbergs „Jaws“.

Manche Filme strahlen über Jahrzehnte aus. Steven Spielbergs Der weiße Hai zum Beispiel, in dem sich Inszenierungsstrategien finden, die für Filmemacher:innen noch immer inspirierend wirken. Und zwar nicht unbedingt im irgendwie verfluchten Animal-Horror-Segment Hai-Film, das nur wenig wirklich Gelungenes kennt (The Shallows etwa oder diesen hier), sondern in ganz anderen Settings, in die sich die Ausgangslage – übermächtiger Fressfeind bleibt im Verborgenen und stößt dann zu – und bestimmte Methoden zur Erzeugung von Suspense übertragen lassen.

Nope, der dritte Film von Jordan Peele, einem der interessantesten Horrorfilmregisseure zurzeit, überträgt das Setting vom Meer in die Wüste vor Los Angeles. Ein außerirdisches Wesen ist in den Wolken verborgen, und wenn es Hunger bekommt, saugt es die Menschen ein und spuckt die Überreste über der kargen Landschaft wieder aus. Man kann so eine Geschichte im hastig geschnittenen Terrormodus erzählen. Peele, der als Autor und Regisseur in seinen ersten beiden Filmen Get Out und Us ein neues Mischverhältnis von Sozialsatire, Komik und eben Horror gefunden hat, nimmt sich hingegen Zeit für Abschweifungen und Schlenker.

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Daniel Kaluuya

Der Plot an sich aber ist schlank und ohne Fett: Die Geschwister OJ Jr. Haywood (Daniel Kaluuya) und Emerald (Keke Palmer) bewirtschaften nach dem Tod ihres Vaters die Pferdefarm der Familie, die Tiere werden für Filmproduktionen vermietet. OJ entdeckt das außerirdische Wesen, das beide zuerst für ein UFO halten. Kameras werden aufgebaut, um die Bilder von dem Außerirdischen zu Geld zu machen. Im sehr ausgiebigen Finale zeigt Peele dann auch, was sich in Us bereits andeutete, nämlich dass hier ein Regisseur souverän Action-Sequenzen inszenieren kann, die auf Etabliertes zurückgreifen und trotzdem originell gebaut sind; im Falle von Nope: viele Einstellungen, die sich die Weite der Wüste zunutze machen und wenig bis gar kein Schnittgehacke.

Bis dahin aber nimmt der Film sich sehr viel Zeit, für lange Dialoge, Exkurse zur Filmgeschichte (Emerald behauptet, dass in Eadweard Muybridges filmhistorisch entscheidender chronofotografischer Bildserie „The Horse in Motion“ von 1878 ein Schwarzer zu sehen sei) und subtil-komische Momente. Und eine wirklich beklemmende Rückblende eröffnet als Motiv den Film und wirkt wie sein eigentliches Zentrum, obwohl es sie für den eigentlichen Plotverlauf gar nicht bräuchte. Jedenfalls entfaltet sich die Sequenz, wenn sie dann am Ende des zweiten Aktes vervollständigt wird, zu einer der effektivsten Animal-Horror-Szenen seit eben der Der weiße Hai.

Das eigentliche Zentrum dieses in angenehm gemächlichem Tempo erzählten Films bilden genau solche Abschweifungen, die nicht mehr primär den Plot voranbringen, sondern für sich funktionieren, als in sich geschlossene Szenen. Das alles verleiht Nope etwas leise Tarantinoeskes, mit dem Unterschied, dass Reflexivität und Zitat-Meta-Ebene hier nicht aufdringlich, sondern wie aus einer stoischen Ruhe heraus konstruiert wirken. Die inszenatorische Ruhe findet ihre Entsprechung auch im Spiel von Daniel Kaluuya und seiner eigenbrötlerischen, fast apathisch wirkenden Figur.

Das alles hat außerdem zur Folge, dass man in Nope, anders als in Get Out oder Us, keinen politischen Subtext mehr im Zentrum findet, sondern nur an den Rändern des Geschehens (die aber vielleicht sein eigentliches Zentrum bilden). „Wenn du als schwarzer Autor und Regisseur von schwarzen Amerikanern erzählst, hast du einen großen Vorteil“, hat Jordan Peele dem Spiegel erzählt. „Du musst den Zuschauern nicht erklären, warum sie nicht zur Polizei gehen.“ Wo insbesondere Peeles Debüt direkt von race relations erzählte, sind nun alle sozialsatirischen Aspekte in der Konstruktion des Films aufgegangen und laufen als selbstverständliches Wissen mit.

 

Nope
USA 2022, Regie Jordan Peele
Mit Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Steven Yeun, Brandon Perea
Laufzeit 130 Minuten