The Last Voyage of the Demeter

Neue B-Picture-Version eines Literaturklassikers – im Kino

Øvredal, Dracula, The Last Voyage of the Demeter
The Last Voyage of the Demeter, 2023, André Øvredal

The Last Voyage of the Demeter: Scheunentorgroße Löcher im Drehbuch tun der Beuschel-Drastik dieser zünftigen „Dracula“-Adaption von André Øvredal keinen Abbruch.

Zu Beginn ein Insert, welches etwas unpräzise verkündet, man bekäme es im Folgenden mit einer Verfilmung jener Ereignisse zu tun, die im Kapitel „The Captain’s Log“ von Bram Stokers „Dracula“ geschildert werden.(*) Da es sich bei diesem Roman um einen nicht ganz unbekannten Klassiker der Weltliteratur handelt, der seit seinem Erscheinen 1897 zudem keine geringe Anzahl von Verfilmungen nach sich gezogen hat, stellen wir fest: Megaspoiler!

Jede:r weiß, wie die Reise des Handelsschiffes Demeter von Rumänien nach England endete: Das Schiff strandete nahe London und an Bord befand sich keine einzige lebende Seele mehr. Verschwunden war zudem ein Teil der seltsamen Fracht, die ein unbekannter Auftraggeber im Ausgangshafen hatte an Bord schaffen lassen. Den weiten Weg von Siebenbürgen her waren die in Rede stehenden Kisten, in denen sich eben keineswegs nur Erde befand, transportiert worden. Siebenbürgen, auch bekannt als Transsylvanien, wo, wie wir alle wissen, seit Jahrhunderten Graf Dracula sein sinistres Unwesen treibt. Nur eben jetzt nicht mehr. Denn vor kurzem, also 1897, hat das lichtscheue, blutrünstige Wesen die Verlobte seines „Gastes“ Jonathan Harker, nämlich Mina, auf einem Bild erblickt und sich verguckt. Und hat deswegen nun also diese lange und beschwerliche Reise angetreten, die für die Zuschauer:innen nun auch kein reines Zuckerschlecken wird.

Hawkins, Øvredal, Last Voyage of the Demeter
Corey Hawkins

Denn es gilt großer Mengen von Jumpscares standzuhalten, nicht wenige scheunentorgroße Löcher im Drehbuch wollen ignoriert werden sowie fantasmatische Ad-hoc-Pathologien verdaut, die sattsam bekannte Zeit/Action-Zerdehnung hinüber in die Unglaubwürdigkeit feiert fröhliche Urständ‘ und zu allem Überfluss ist es die meiste Zeit stockfinster und schüttet wie aus Eimern. Abgesehen davon aber ist The Last Voyage of the Demeter von André Øvredal ein recht zünftiger Horrorfilm. Was bedeutet, dass er vor den guts’n’gore-Aspekten der Geschichte nicht zurückschreckt und die exzentrischen Ernährungsgewohnheiten des Ungetüms detailliert und mit Freude am Drastischen in Szene setzt. Auch widmet er den Figuren, also den Seeleuten (plus einer selbstverständlich frei erfundenen blinden Passagierin), die da zu Opfern werden, hinreichend Aufmerksamkeit. So dass es einem nicht egal ist, wenn dieselben beim tapferen Versuch, dem unheiligen, unheimlichen Unheil, das sie da unverschuldet heimsucht, Widerstand entgegenzusetzen, aus dem Ausguck gefegt werden und über Bord gehen, in Einzelteilen und begleitet von Blutfontänen. Oder so ähnlich.

Die Gestalt des Blutsaugers ist im Übrigen jener des Grafen Orlok aus Friedrich Wilhelm Murnaus nicht autorisierter „Dracula“-Adaption Nosferatu aus dem Jahr 1922 nachempfunden. Øvredal nimmt sich mit diesem Meilenstein, nicht nur des Weimarer Kinos sondern überhaupt des Horror-Genres, ein ziemlich großes Vorbild. Da mag einem The Last Voyage of the Demeter dann zwar wie ein Zwerg auf den Schultern eines Riesen vorkommen, aber mangelnde Ambitionen lassen sich dem Norweger ohnehin nicht vorwerfen. Seinen internationalen Durchbruch feierte er 2010 mit der flott zusammenfabulierten Fake-Doku Trolljegeren, in der eine Gruppe Filmstudent:innen den Spuren eines Mannes folgt, der im Auftrag einer geheimen Regierungsorganisation der, nona, gefährlichen Tätigkeit des Trolle-Jagens nachgeht. Thematisch vergleichbar gewagt der mehrfach ausgezeichnete Mysterythriller The Autopsy of Jane Doe (2016), in dem (neuerlich: nona) im Zuge der Autopsie einer Unbekannten etwas grauenvoll Unbekanntes zutage gefördert wird. Ebenso wie die genannten will auch The Last Voyage of the Demeter nicht mehr sein als ein B-Picture, und wie die genannten ist es als solches mehr als nur tauglich.

Und wer in den transgressiven Genres nach dem ideologischen Mehrwert sucht, dem mag womöglich der Gedanke gefallen, dass mit der Figur des dunkelhäutigen Arztes Clemens, der auf der Demeter zurück in seine Heimat will, nebenbei die Gestalt des Dr. Van Helsing und damit ein klassischer Vertreter des mansplainenden alten weißen Mannes überschrieben wird. Ganz abgesehen davon, dass Clemens das unerklärliche Geschehen an Bord mit seiner eigenen Erfahrung von Rassismus kontert: Beides sei Teil einer Welt, die genau deswegen keinen Sinn ergibt. Nimm dies, Dracula!

(*) In Wahrheit handelt es sich um den Abschnitt „Log of the Demeter“ im Kapitel 7, betitelt „Cutting from ‚The Dailygraph‘, 8 August (Pasted in Mina Murray’s Journal)“.

 

The Last Voyage of the Demeter
USA 2023, Regie André Øvredal
Mit Corey Hawkins, Aisling Franciosi, Liam Cunningham
Laufzeit 118 Minuten