Roter Himmel

Schlicht Fabelhaftes von Christian Petzold – im Kino

Petzold, Roter Himmel
Roter Himmel, 2023, Christian Petzold

Jetzt auch in Österreich endlich im Kino: einer der Filme des Jahres, mit einem herrlich miesepetrigen Thomas Schubert als scheiterndem Schriftsteller.

Roter Himmel: Das Jahr neigt sich dem Ende zu, viele Filmfestivals sind ins Land gezogen und an die Berlinale im vergangenen Februar erinnert sich kaum jemand mehr, steht doch bereits die nächste quasi schon vor der Tür. Nun aber schafft es Roter Himmel von Christian Petzold endlich doch auch noch in die österreichischen Kinos und da fällt es einem wieder ein und auf – es wurde an dieser Stelle bereits mehrfach und es sei hiermit ein letztes Mal darauf hingewiesen: Eigentlich hätte Thomas Schubert am Ende erwähnter Berlinale für seine Figur des semi-verkrachten, meist griesgrämigen Schriftstellers Leon in erwähntem Film mit dem Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle nachhause gehen müssen (hier ein Viennale-Podcastgespräch mit ihm). Und weil wir gerade dabei sind: Es ist zwar gut und schön, dass Petzold mit dem Silbernen Preis der Jury ausgezeichnet worden ist, der Goldene Hauptpreis wäre bei ihm allerdings auch in besten Händen gewesen. Nachdem dies also nunmehr aus dem Weg geschafft ist, wenden wir uns der Frage nach dem Warum zu.

Petzold, Schubert, Roter Himmel
Thomas Schubert

Die Freunde Leon und Felix fahren an die Ostsee, um im Ferienhaus von Felix‘ Mutter an ihren „Projekten“ zu arbeiten: Felix an seiner Mappe für die Kunstakademie, Leon an seinem zweiten Roman. Es läuft nicht eben reibungslos. Erst bleibt das Auto im Wald liegen, dann ist eines der Zimmer im Haus mit der Tochter einer Bekannten der Mutter belegt, Nadja, die nachts ihren Liebhaber empfängt, und in die sich Leon, dem Ärger darüber zum Trotz, auf den ersten Blick verknallt. Zu allem Überfluss erweist sich der Arbeits-Elan als übersichtlich; Leon drückt sich davor, sich sein Scheitern am pseudocool-prätenziös betitelten „Clubsandwich“ einzugestehen, außerdem ist er neidisch auf Felix, der unbeschwert zum Schwimmen geht und dabei obendrein eine unbestreitbar gültige Eingebung hat. Als sich dann auch noch Rettungsschwimmer Devid anfindet und gute Laune verbreitet, ist es um Leons Fassung geschehen.

Schuberts miesepetriger Schreiberling ist eine Schau, die man gesehen haben muss; eine mutige Darbietung von Schwäche, eine komplexe Erkundung erbarmungswürdiger Großkotzigkeit, die schon beim kleinsten Gegenwind eingeht: Er ist einer, der am Tisch gerne das große Wort führen würde, stattdessen aber allenfalls unter demselben hervorkläfft, während er sich gleichzeitig feige vor dem Tritt fürchtet. Leon nervt mit der Gespreiztheit, mit der er sein Künstlertum wie eine Monstranz vor sich herträgt. Und wenn er sich aus dem gemeinschaftlichen Badevergnügen ausklinkt mit der Begründung „die Arbeit lässt es nicht zu“, dann ist nicht nur ein großer Sager geboren, sondern auch ein armer Wicht ersichtlich. Als Spaßbremse und Spielverderber hocheffizient bringt er eine verklemmte Schwere in die sommerliche Luftigkeit des Wochenendes. Das so unbeschwert dann doch nicht ist, denn es tobt ein Feuer in den Wäldern, das färbt den Himmel rot.

Mit Roter Himmel führt Petzold, der hier ein eigenes Drehbuch verfilmt, in dem er motivisch auf seine Anfänge rekurriert, seine große Begabung zur Meisterschaft, das einzigartige Gefühl und die tradierte Form ineinander zu flechten, bis das eine das andere überraschend zu bedingen scheint. Denn womit haben wir es zu tun? Mit einem Künstlermelodram? Einer Liebesgeschichte? Einer sanften Komödie? Während doch all die detailgenauen Beobachtungen einer wirklichen, lebendigen Welt – von den Plastiktüten, in denen die Einkäufe geschleppt werden, über die längliche Erzählung eines Witzes bis zur zweimaligen Rezitation des Heine-Gedichtes „Der Asra“, das auf wundersame Weise die Seele dieses Films in sich trägt – zunächst nichts anderes nahezulegen scheinen als realistisches Urlaubsgeschehen zwischen Alltagsroutine und kleinem Abenteuer. Unsicher, worauf das alles hinaus will, beobachten wir Leon, der Sicherheit ohnehin nur vorgibt – bis Petzold in einer atemberaubend kunstvollen Volte die Erzählperspektive neu definiert und das Scheitern des Schreiberlings sich zum schriftstellerischen Triumph wendet, während zugleich die Geschichte entschlossen ins Genre der Tragödie hinüberspringt. Es ist ein Moment in Roter Himmel, so souverän und zugleich so zärtlich, dass es einem die Tränen in die Augen treibt, jedesmal wieder.

 

Roter Himmel
Deutschland 2023, Regie Christian Petzold
Mit Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt
Laufzeit 103 Minuten