„Matter out of Place“: Nikolaus Geyrhalter liefert quasi das Gegenstück zu seinem Film „Homo Sapiens“ – in AT im Kino.
Eine unbewegte Einstellung, die Kamera operiert wie ein Fotoapparat. Bildrahmen suchen, festlegen, aufnehmen, was in ihm zu sehen ist, nächstes Bild. Der Unterschied ist, dass sich die Dinge und Menschen in den Filmen von Nikolaus Geyrhalter bewegen, wenngleich nicht übermäßig viel. Aber doch so, dass man sieht und spürt, hier ist noch Leben. Vielleicht nicht mehr für ewig, aber immerhin. Schließlich nimmt die Kamera in diesen Fällen gerne das Verfallene wie auch das Zerstörerische und Zerstörte in den Blick. Nur halt in aller Ruhe und ohne jede Aufregung.
In seinem Film Homo Sapiens waren das Gebäude, die die Natur sozusagen zurückerobert hat. Autos und Plätze, Straßen. Wenn die Menschen erstmal weg sind, kehren Flora und Fauna zurück. Wie das aussieht, zeigte Geyrhalter damals, 2016, in etwa halbminütigen, eben unbewegten Einstellungen. Sein neuer Film Matter out of Place zeigt sozusagen das Konträre. Nämlich, wie eine der raren Einblendungen zu Beginn erklärt, Materie, die nicht Teil des natürlichen Zusammenhangs ist. Das ist hier im Wesentlichen Müll: Müll, der vom Grund eines Sees oder des Meeres hochgeholt werden muss, Müll, der von den Straßen oder nach einer Techno-Party aus der Wüste aufgesammelt wird, Müll, der in den Ackerböden versenkt und nun zu Demonstrationszwecken wieder ausgegraben wird.
Die Schnittfrequenz und die Statik der Einstellungen erzeugt eine kontemplative Ruhe, die allerdings auch die innere Sammlung von Zuschauerin und Zuschauer zur Voraussetzung hat. Wenn man zerstreut an diese Bilder herangeht, verflüchtigen sie sich, und das Resultat ist zähe Langeweile. Wenn man sich aber auf die allemal fordernde Konstruktion des Films und seinen Rhythmus einlassen kann, wird die Bildwahrnehmung hier zu einer Art Meditation. Eine Meditation über Müll. Und damit darüber, was wir als Menschen – die in einer kapitalistischen Ordnung mitsamt strukturell verblödeter Konsumgesellschaft nicht nur leben, sondern von ihr profitieren und nicht mehr anders können – der Natur antun.
Welche Wirkung das filmische Verfahren Geyrhalters auf die jeweilige Zuschauerin hat, ist in hohem Maße subjektiv. Subjektiver jedenfalls als bei wirkungsästhetisch eindeutiger emotionalisierenden Vorgehensweisen. „Das Publikum bekommt selbst die Chance, Close-ups zu machen“, hat Geyrhalter im Interview mit dem Standard gesagt. Das sei auch viel demokratischer. Auf mich wirkt der Kamerablick, der diese Bilder bestimmt, allemal kalt. Nicht im Sinne von harsch oder teilnahmslos, aber doch analytisch-distanziert. Ein Blick, in dessen Rahmen alles Objektstatus bekommt. Nicht nur der Müll, sondern auch die Menschen und die Landschaften, in denen er rumliegt und die er vergiftet.
Matter out of Place gehört glücklicherweise nicht zu den Naturdokumentationen, die versuchen, die Zerstörung zu skandalisieren, indem sie ihr die ästhetisch-schönen Bilder einer bewahrenswerten Natur entgegensetzen. Stattdessen wird hier nüchtern aufgezeichnet, filmästhetisch maximal bedeutungsoffen, was auch bedeutet, dass die Zuschauer hier die ganze Arbeit ausnahmsweise einmal selbst machen müssen. Sie lohnt sich.
Matter out of Place
Österreich 2022, Regie & Kamera Nikolaus Geyrhalter
Laufzeit 106 Minuten