Match made in heaven

Zurückhaltender Horror aus Österreich: „Family Dinner“ – im Kino (AT)

Hengl, Family Dinner
Family Dinner, 2022, Peter Hengl

„Family Dinner“: Debütant Peter Hengl zeigt, wie abgründiger Kleinfamilienterror auf den Magen schlägt – jetzt in Österreich im Kino.

Er hätte, hat Tobe Hooper in einem Rückblick auf sein frühes Meisterwerk The Texas Chain Saw Massacre einmal gesagt, einen Film über das, was ihn am meisten geängstigt hat, machen wollen: Familienessen. Das war natürlich ein Scherz, einerseits, andererseits steckt in dem Satz, wie bei vielen guten Witzen, eine gewisse Wahrheit. Es gibt wenig Bedrückenderes im Privaten als das gemeinsame Essen in dysfunktionalen Familien. Und für die hat Hooper in seinem Kannibalenfilm drastische und schrecklich-komische Bilder gefunden.

Das Debüt des gruselgeneigten Regisseurs Peter Hengl schlägt wesentlich zurückhaltendere Töne an. Wo Hooper von Minute eins an auf die Pauke haut, lässt Family Dinner sich Zeit für einen langsam-bedrohlichen Aufbau. Simi (Nina Katlein), übergewichtig und schüchtern, besucht ihre Tante auf dem Land, um abzunehmen. Claudia (Pia Hierzegger) ist Ernährungsberaterin und Autorin diverser Kochbücher, die, wenn man von dem Zeug ausgeht, was sie auf den Tisch stellt, das Marktsegment zwischen Food-Design und Gesundheitsterror abdeckt. Die Räume des ehemaligen Bauernhauses, in dem der Kleinfamilienterror sich hier entfaltet, sind eine formvollendete Set-Design-Leistung, ein höllischer Hybrid aus Ikea und Manufactum. Neben Claudia geistern noch ihr Mann Stefan (Michael Pink) und der sozial offenbar mittelschwer gestörte Sohn Filipp (Alexander Sladek) durch die Szenerie. Alles wirkt drückend und zugeknöpft an diesem Ort, und Family Dinner entfaltet sein Setting und den zwangsneurotischen Grundton wie gesagt in aller Gemächlichkeit. Wobei sich Hengl zu sehr auf ein fast konstant im Hintergrund erklingendes düster-dräuendes Dauergedröhn verlässt, wo das Ensemble aus Mobiliar und Familienneurose eigentlich genügen würde, dass einem mulmig wird ums Herz. Und später dann auch in der Magengegend.

„Österreich und Horror sind ein ›match made in heaven‹“, hat Peter Hengl im Interview erzählt, und Family Dinner reiht sich in den kleinen Schwung an Terrorfilmen aus dem Land, in dem der Postfaschismus noch mal andere Blüten getrieben hat als in Deutschland, wunderbar ein. Simi wird von Claudia zu einer Radikalkur verdonnert. Das Osterfest naht und die Eltern (beziehungsweise der Stiefvater) fasten, irgendetwas Großartiges, Bahnbrechendes soll am Ostersonntag passieren. Simis Handy verschwindet, Filipp versucht abzuhauen, und man ahnt – eben auch, weil es auf der Tonspur unablässig dröhnt –, dass es eher fürchterlich werden wird. So kommt es dann auch, und wirklich überraschend ist die Auflösung der Geschichte nicht. Aber schön trotzdem, wie der Film im letzten Akt, wenn es an die Körper geht und die aufgeladene Atmosphäre sich in Gewalt entlädt, in seinem ruhigen Rhythmus bleibt.

Schön auch, wie hier die Horrorfamilie mal nicht aus den seit Jahrzehnten vorliegenden Genremythologien kommt (depravierte Rednecks, pervers-dekadente Oberschicht und was der Horrorfilm sonst noch so anbietet), sondern ein zeitgemäßes Ekelbild findet, in einer Phase, in der das Kleinbürgertum sich aufgrund mangelnder anderer Distinktionsmöglichkeiten vor allem über das, was es isst, vom Pöbel und aber auch nach oben abgrenzt. Und vor allem darüber, was seine Kinder essen. Um dann am Ende doch wieder zu Bildern zurückzukehren, die aus einem ganz alten Mythos stammen.

Ein ausführliches Gespräch mit Regisseur Peter Hengl gibt es in unserem Podcast.

 

Family Dinner
Österreich 2022, Regie Peter Hengl
Mit Nina Katlein, Pia Hierzegger, Michael Pink, Alexander Sladek
Laufzeit 97 Minuten