Man stirbt ja echt

„Moments Like This Never Last“: atemloses Künstlerporträt, jetzt auf Mubi

Moments Like This Never Last, 2020, Cheryl Dunn

Cheryl Dunn bedient sich in ihrem Porträt des grenzüberschreitenden New Yorker Künstlers Dash Snow durchaus der Konventionen des Biopic-Genres. Dennoch ist „Moments Like This Never Last“ gerade an Stellen interessant, wo er die vorhersehbaren Verläufe von Leben und Werk rekonstruiert.

Leinwandheld und -heldin werden auch dafür geliebt, dass sie Ersatzhandlungen für uns ausüben: Da tut einer, was der Zuschauende selbst vielleicht auch tun möchte. Man kann sich imaginär und empathisch mit dem Geschehen verbinden und es emotional mitgehen. Ein Surrogat dafür, dass man nicht selbst die Bösen zusammenschlägt oder die Bank stürmt, und natürlich weniger intensiv, aber eben auch schön gefahrlos. Man genießt im Kino ohne Risiko die Transgression, die man sich im Leben nicht traut und die, unter anderem weil es ja das Kino gibt, auch gar nicht unbedingt sein muss (die Gedanken sind frei, der Mensch ist im Büro). Nicht das geringste seiner vielen Versprechen.

In der bildenden Kunst kann man ähnliches beobachten, vor allem dort, wo sich die Inszenierungs- und Vermarktungslogik der im Pop herrschenden Logik annähern, mit vergleichbaren Verläufen. Das kurze Leben des New Yorker Künstlers Dash Snow, laut Joachim Lottmann ein „Mann mit langen Haaren, manischen, bohrenden Augen, extrem willensstark wahrscheinlich, fähig, die Leadgitarre bei Motörhead zu halten oder einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg durchzuziehen“, ist ein idealtypisches Beispiel für das Zusammenspiel von Transgression (Künstler), Genuss beim Betrachten der Transgression (Publikum) und frühem Tod (mit 27 Jahren, wie Kurt Cobain oder Jimi Hendrix oder Janis Joplin oder Amy Whinehouse). Der Dokumentarfilm Moments Like This Never Last der Regisseurin Cheryl Dunn rekonstruiert das kurze Leben von Snow formal konventionell vom Anfang bis zum Drogentod.

Wie es sich gehört, wenn ein Doku-Format nach Biopic-Genre-Konventionen strukturiert ist, bekommen wir ein Kindheitstrauma als Erklärung für den radikalen und schmerzgetriebenen Eigensinn des Helden präsentiert: Der junge Dash wird von seiner Mutter in ein Art Bootcamp für delinquente Jugendliche gesteckt, in dem brachiale Methoden und Missbrauch herrschen. Snow haut ab nach New York, bricht den Kontakt zu Teilen der Familie ab und ist von da an auf der Suche nach Liebe und Authentizität und künstlerischem Ausdruck. So suggerieren es Montage und voice over, und wahrscheinlich stimmt das alles sogar.

Mitte der Neunzigerjahre wird Dash Snow, Jahrgang 1981, Teil einer New Yorker Graffiti-Crew, die wilder agiert als andere New Yorker Graffiti-Crews, und beginnt das Leben seiner Freunde auf Hunderten Polaroids zu dokumentieren. Bilder von Party-Exzessen, die ein paar Jahre später bereits in den Galerien der Stadt und in Berlin ausgestellt werden: junge Menschen beim Drogennehmen oder beim Sex oder beides zugleich (ein Mann schnieft Kokain von einem erigierten Penis); bis zum ersten Auftritt von Kids-Regisseur Larry Clark ist es da in Moments Like This Never Last natürlich nicht lange hin.

Moments Like This Never Last, 2020, Cheryl Dunn

Die erste Hälfte von Dunns Film funktioniert als Erzählung eines geglückten Versuchs junger Menschen in den Neunzigern, das rigoros kaputte und verdreckte und ungleich aufregendere New York der Siebziger zu reinszenieren. Aber eben nicht als Reinszenierung im Symbolischen, sondern in Form einer körperlich involvierten und risikoreichen Suche nach dem, was sich im Leben mit Authentizität verbinden lässt. Getrieben nicht zuletzt von der unübersehbaren Lust an der Reibung mit den Autoritäten. Nach einem der vielen Zusammenstöße mit der Polizei bastelt Snow eines seiner berühmtesten Werke, „Fuck the Police“. Der Katalog der Londoner Saatchi Gallery listet als Mittel der Kunst „45 Framed press clippings, semen“, und tatsächlich sind die Bilder in diesem Gesamtwerk, auf die der Künstler onaniert hat, rückblickend recht zahlreich (u.a. wichste Snow auf die Magazinüberschrift „How much talent does it really take to come on the New York Post, anyway?“; kann man inzwischen als Lithografie erwerben).

Es folgt der erwartbare Erfolg, der sich hier nach einer Reihe von biographischen Features in Magazinen wie dem New Yorker einstellt, die meist Snows familiären Hintergrund zum Aufhänger nehmen. „Rebelling against your famous art family by becoming a famous artist is a pretty interesting way to rebel“: Snow stammte aus einer sehr wohlhabenden Mäzenatenfamilie, und das Zentralnarrativ ist das des verlorenen Sohnes.

Moments Like This Never Last zeigt auch das Versprechen auf gefahrlose, weil nur imaginäre Transgression aus der Publikumsperspektive: Das Publikum steht steif mit Weinglas vor den Fotos und den Wichsbildern Snows und darf sich wohlig gruseln und eifersüchtig werden auf das wilde Leben; der Künstler mit wilden Zöpfen, schwarzem Hut und schwarzem Mantel setzt derweil versehentlich fast die Galerie in Brand.

All das erzählt Moments Like This Never Last anhand einer unablässig hastigen Montage des Bildmaterials, das Snow und seine Entourage über Jahre produziert haben. Die Authentizitätssuggestion der meist spontan entstandenen Bilder wirkt. Interessant wird es aber gerade dort, wo der Film sozusagen versehentlich die allzu vorhersehbaren Verläufe von Leben und Werk rekonstruiert, die so radikal eigensinnig dann gar nicht sind. Interviews mit einem Mitstreiter und mit Snow selbst legen nahe, dass die Heroinsucht, an der der Künstler am Ende stirbt, auch eine Reaktion auf den Vorwurf ist, er sei ein Fake, ein reicher, eigentlich saturierter Sohn, der den geil Kaputten nur spielt. Heroin als Signum der Authentizität in Pop und Kunst (und den Mischformen aus beidem), weil: Man stirbt ja echt. Da gibt es dann nichts mehr anzuzweifeln.

Bedrückend auch, dass ein Leben, das, so viel kann man wohl sagen, von einem fast panischen Freiheitsdrang bestimmt zu sein schien, in der Retrospektive dann doch wie nach Drehbuch verläuft: Kindheitstrauma, Grenzüberschreitung, schneller Aufstieg, das Zweifeln am eigenen Erfolg, Selbstzerstörung, der letzte Versuch, sich ins Familienleben (zurück) zu retten – die letzten Arbeiten Snow sind Videoportraits, die er von seiner Frau und seiner Tochter gemacht hat – und der Tod mit 27 Jahren. Als hätte Snow den Verlauf, den die Karriere von Kurt Cobain genommen hat, im Feld der bildenden Kunst wiederholt.

Dass Moments Like This Never Last die Genre- und Regelhaftigkeit und die Marktförmigkeit, die auch ein transgressiv gedachtes Werk annimmt, wenn es erst einmal den Dynamiken des Kunstwerks unterworfen ist, nicht explizit thematisiert, sondern am Mythos weiterstrickt – geschenkt. Man findet in seinen Bildern all das trotzdem.

 

Moments Like This Never Last
USA 2020, Regie Cheryl Dunn
Mit Dashiell Alexander, Whitney Snow, Jeffrey Deitch, Leo Fitzpatrick, Blair Hanson, David Rimanelli
Laufzeit 96 Minuten