Märchenwald

Geschichtskrimidrama par excellence: „Schweigend steht der Wald“ – im Kino

Volm, Schweigend steht der Wald
Schweigend steht der Wald, 2022, Saralisa Volm

„Schweigend steht der Wald“: Das Regiedebüt der Schauspielerin Saralisa Volm besticht nicht zuletzt durch einen Realitätssinn, den es dem handelsüblichen Geschichtsaufarbeitungskino voraus hat. Mit Henriette Confurius, Robert Stadlober und u.a. August Zirner.

Die schöne Redewendung, es habe ein dröhnendes Schweigen geherrscht, nimmt dieser Film recht wörtlich. Immer wieder fliegt die Kamera über eine Waldlandschaft, und dazu ertönen auf der Tonspur erhabene, unheilvolle Drones. Man ahnt nach drei Minuten, dass die Grabungsarbeiten der Forstpraktikantin Anja (Henriette Confurius) unter diesen Bäumen nichts Gutes zutage fördern werden. Dementsprechend abwehrend reagiert die Dorfbewohnerschaft.

Schweigend steht der Wald, das Regiedebüt der Schauspielerin Saralisa Volm (Hotel Desire, Fikkefuchs), erzählt von den Verbrechen der Vergangenheit, die nicht vergehen wollen, und hantiert dabei – auch in diesem Punkt sehr nahe an der Romanvorlage von Wolfram Fleischhauer – durchweg mit etablierten Versatzstücken: die verschworene Schuldgemeinschaft, der traumatisierte Psycho, der als Sündenbock herhalten muss, die junge Generation, die unbequeme Fragen stellt. Wer ein paar Filme gesehen hat, die meist nicht ohne pädagogische Ambitionen um den Topos der Aufarbeitung der Vergangenheit kreisen, wird hier nach den ersten Hinweisen auf die Art des Verbrechens, das auch ein halbes Jahrhundert später nicht aufhört, Leben zu zerstören, nicht mehr überrascht.

Schweigend steht der Wald
Robert Stadlober, August Zirner

Seine Qualitäten entfaltet Schweigend steht der Wald dann auch nicht auf der Plot-Ebene, sondern über seine zermürbend-brütende Atmosphäre. Wobei er auch als Thriller recht gut funktioniert. Alles vollzieht sich langsam und unaufhaltsam, die Figuren sind über das Verbrechen unauflösbar aneinander gekettet, was sich ganz direkt in den von Gewalt und Terror durchtränkten Familienverhältnissen manifestiert. Wenn da dann ein junger Mensch von außen in die Gemeinschaft kommt, um zu graben, eskaliert es zwangsläufig.

Manchmal sind die Metaphern dann doch etwas plump. Wenn zum Beispiel auf der leichenfetten Erde ein Freizeitpark ausgerechnet mit „Märchenwald“-Motiv errichtet werden soll, ist das ein schon sehr grobes Bild für Verdrängung der Gewalt der Geschichte: Auf dem, was wirklich geschehen ist, wird eine Märchenlandschaft errichtet. Ein Versuch, nicht nur die Opfer, sondern auch die Erinnerung an sie zu vernichten. Dass einen das als Zuschauer:in aber nicht allzu sehr stört, wird auch mit dem Cast zu tun haben, allen voran Henriette Confurius und Robert Stadlober als rückgratloser Polizist (und vor allem Polizistensohn), der hier die „Opa war kein Nazi“-Generation repräsentiert. Auf eine stille Weise furchteinflößend ist dann auch der Polizistenvater, gespielt von August Zirner, als gewaltvolle Verkörperung der gnadenlosen normativen Kraft des Faktischen: Nun sind sie tot und müssen nun mal weg.

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(Spoilerhinweis: Für den Schluss des Textes sollte man den Film schon gesehen haben.)

In einem zentralen Punkt allerdings unterscheidet Schweigend steht der Wald sich von seinen filmischen Verwandten. Die Aufarbeitung misslingt hier, die Gegenaufklärung triumphiert, die Toten kommen nicht zurück, sondern nur in Fragmenten aus dem Boden wieder hochgewürgt; herausgebrochene Goldzähne vor allem, kein nachträgliches, die Würde wieder herstellendes Begräbnis. Saralisa Volms Film ist von einer ungeheuren Negativität bestimmt, von Anfang an und bis zum niederdrückenden Schluss. Damit hat er den meisten Vertretern des Geschichtsaufarbeitungskinos etwas voraus, einen starken Realitätssinn nicht zuletzt. Schließlich wurden die meisten Menschen, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und auch noch danach Massaker an den Davongekommenen verübt haben, später nur in den allerseltensten Fällen juristisch belangt. Da soll man auf der Leinwand nicht so tun, als hätte irgendwo in diesen ganzen historischen Zusammenhängen so etwas wie Gerechtigkeit gesiegt.

Diese radikale Negativität wirkt paradoxerweise so, als hätte jemand ein Fenster in einem stickigen Raum geöffnet. Rausfliegen dürfen Verkitschung, Melodramatik und die falsche Identifikation mit den Opfern. Schweigend steht der Welt handelt vom Sieg der Täter und beschönigt nichts. Damit kommt er seinem Gegenstand näher und geht weiter als der Großteil der sonstigen deutschsprachigen Produktionen zum Nachleben des Nationalsozialismus.

Am 4. November um 20:00 Uhr findet im Wiener Admiral Kino eine Vorführung mit anschließendem Publikumsgespräch statt. Zu Gast: August Zirner.

Schweigend steht der Wald
Deutschland 2022, Regie Saralisa Volm
Mit Henriette Confurius, Robert Stadlober, Christina Baumer, Noah Saavedra, Johanna Bittenbinder, Christoph Jungmann, August Zirner
Laufzeit 95 Minuten