Joan Baez – I Am a Noise

Eine echt coole Alte im Porträt – im Kino

Navasky, O’Connor, O’Boyle, Joan Baez – I Am a Noise
Joan Baez – I Am a Noise, 2023, Miri Navasky

Joan Baez: das Gesicht der Gegenkultur, vor allem aber deren Stimme. Die sogenannte Queen of Folk, porträtiert von Miri Navasky, Karen O’Connor und Maeve O’Boyle.

Klänge es nicht doch etwas despektierlich, könnte man Joan Baez „eine echt coole Alte“ nennen. Wie sie da in Paris aus dem Fenster ihrer Hotelsuite schaut und unten auf der Straße eine Samba-Truppe herumtrommelt – und sie dann kurzerhand hinuntersaust und mittanzt. Und keine Spur von Zipperlein, dabei ist die Frau schon über Achtzig. Respekt!

Man kann sie natürlich auch etwas komplizierter nennen: Branchenbibel Variety beispielsweise bezeichnet sie in der Rezension des hier in Rede stehenden Porträt-Films als „a poster girl for a kind of wholesomely sexy liberal social consciousness“, also als ein Aushängeschild für eine Art sexy-ganzheitliches, liberalsoziales Gewissen (bzw. Bewusstsein). Aber ob das nun gerade ein Kompliment ist?

Fakt ist, dass die Folksängerin, Songwriterin und Aktivistin Joan Baez zu DEN Gesichtern der Gegenkultur, d.i. der Bürgerrechts- und Friedensbewegung des Zwanzigsten Jahrhunderts zählt und in ihrer Eigenschaft als Zeitzeugin natürlich eine Menge zu erzählen hat. Über den Widerstand gegen den Vietnam-Krieg, über den Kampf gegen Rassendiskriminierung, über Woodstock und Selma, über Martin Luther King und Bob Dylan. Sie war dabei, sie hat es gesehen, sie hat sich nicht mundtot machen lassen und mitgemischt. Dass eine solche Figur der Zeitgeschichte die Deutungshoheit über ihr Leben nicht aus der Hand geben will, ist nachvollziehbar. Schön und gut und richtig ist darüberhinaus, dass Baez ihre Zentralperspektive nicht zur Panegyrik missbraucht, sondern überraschend offen und ehrlich Einblick gewährt in Leben, Laufbahn, Lust und Leiden.

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Was zum einen sicher damit zusammenhängt, dass diese Frau niemandem nichts mehr beweisen muss. Und zum anderen wohl mit der überraschenden Materiallage. Sie habe ihnen – Miri Navasky, Karen O’Connor und Maeve O’Boyle, den Regisseurinnen von Joan Baez – I Am a Noise – einfach den Schlüssel zur Archiv-Abstellkammer gegeben, erzählt Baez, in der Annahme, dort befände sich überwiegend irgendwelches Gerümpel. Ans Licht kamen dann aber unter anderem zahlreiche Kassetten, die die junge Musikerin zu Beginn ihrer Laufbahn von unterwegs an die Eltern geschickt hatte, und in denen sie tagebuchartig ihre Eindrücke mitteilt. Dazu Briefe sowie Zeichnungen, welchletztere leider, einer gegenwärtigen, unsäglichen Marotte des dokumentarfilmischen Verfahrens gehorchend, animiert werden. Zum Glück ist das so ziemlich das einzige, das an diesem Film nervt.

Ausgangspunkt der Rückschau auf Baez’ ereignisreiches Leben ist die „Fare Thee Well“-Tournee, die die Sängerin 2018 und 2019 durch Europa und die USA führte. Flankiert von Aufnahmen, die auf der Farm in Woodside, Kalifornien, entstanden, wo sie mittlerweile im Ruhestand ist. Und es ist die Frage nach dem Ruhestand, mit der Joan Baez – I Am a Noise beginnt, die ad hoc mitten ins Herz der Protagonistin führt. Wie nimmt frau Abschied von der Bühne, auf der sie ihr ganzes Leben gestanden hat? Und so lange sie noch nicht Abschied genommen hat, wie hält sie sich fit für die Strapazen, die eine Woman On A Mission unterwegs erwarten? Und wie geht sie mit dem Alter ihrer Stimme um?

Antworten erhält die Zuschauerin im Vorbeiflanieren an Kindheitsszenen, Teenagerepisoden, Erwachsenenkapiteln; wobei es nicht verwundert, dass ein Leben, das den Sorgen der Welt gewidmet war, selbst alles andere als frei von Sorgen verlief. Mit einer manchmal schmerzlichen Direktheit erzählt Baez von Stress und Störungen, von Panikattacken und Tablettensucht, von Bindungsunfähigkeit und Scheitern. Schließlich konfrontiert sie das Familien-Verdrängte – und legt auch das, rudimentär und fragmentarisch wie es sich nach so langer Zeit nun einmal darstellt, offen.

Sie stellt damit eine Nähe, ja Intimität her, die ist fast ganz ungewöhnlich geworden in einer Gegenwart, die nahezu ausschließlich auf Schein, Fassade, Filter, Image baut und den Begriff der Authentizität propagandistisch in sein Gegenteil verkehrt hat. Dagegen setzt Joan Baez mit diesem berührend aufrichtigen Unterfangen ihr Menschsein, sich selbst und alles, wofür die widerständigen Geister ihrer Generation eingetreten sind und gekämpft haben. Es tut gut, sich dessen zu erinnern.