Im letzten Sommer

Sexuelle Gier, Ego-Rausch und die Folgen – im Kino

Breillat, Drucker, Im letzten Sommer
Im letzten Sommer / L‘été dernier, 2023, Catherine Breillat

„Im letzten Sommer – L’été dernier“ von Catherine Breillat entbehrt nur vordergründig der analytischen Schärfe in Sachen menschlicher Triebkraft.

Anne ist eine erfolgreiche und respektierte Anwältin. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Pierre und zwei adoptierten Töchtern lebt sie am Rand von Paris in einer Villa. Dann zieht Théo ein, Pierres unbotmäßiger 17-jähriger Sohn aus früherer Ehe, und es entspinnt sich die sprichwörtliche verhängnisvolle Affäre. Anne, die sich in ihrem Beruf um minderjährige Opfer sexueller Gewalt sowie Jugendliche in Schwierigkeiten kümmert, macht sich in ihrem Privatleben der Grenzverletzung schuldig. Vielleicht auch eher der Provokation, des Unterschätzens und der Schwäche. Fakt ist, dass sie es als erwachsene Frau besser wissen müsste. Stattdessen benimmt sie sich genauso unreif wie ihr testosterongetriebenes Gegenüber und lässt sich mitreißen von einer toxischen Mischung aus Begehren und Eitelkeit, sexueller Gier und Ego-Rausch.

Nach zehnjähriger Leinwand-Abstinenz stellte die französische Autorenfilmerin Catherine Breillat im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes L’été dernier (Im letzten Sommer) vor, das Remake des vielfach preisgekrönten Films Dronningen (Königin) der dänisch-ägyptischen Regisseurin May el-Toukhy. In jenem Original aus dem Jahr 2019 scherte sich die große Mimin Trine Dyrholm in der Titelrolle einmal mehr rein gar nichts und verkrallte sich furchtlos in das vielschichtige Charakterporträt einer stolzen Frau, die furios scheitert. Vergleichbares oder auch nur Ähnliches lässt sich von Breillats Variante des Stoffes nun leider nicht behaupten. Weder kann Léa Drucker in der Rolle Annes ihrer Schauspiel-Kollegin Dyrholm in Sachen grausamer Nüchternheit das Wasser reichen, noch mag es Breillat gelingen, die Dimensionen der abgründigen Handlung mit ähnlich analytischer Schärfe aufzufächern. Das verwundert insofern, als Breillat im Verlauf ihrer Karriere noch vor keiner Kontroverse zurückscheute – welche sich zahlreich ergaben, insofern ihr filmisches Schaffen die reflektierte explizite Auseinandersetzung mit weiblicher Sexualität zur Aufgabe hat. Und nun dieses quasi weichgespülte Remake; ist die 1948 Geborene, die seit 2004 mit den Folgen eines schweren Schlaganfalls kämpft, womöglich altersmilde geworden? Oder legt Breillat lediglich die französische Perspektive an den Stoff an und macht aus einer Geschichte über Machtmissbrauch und Übergriffigkeit die Geschichte einer tabubeladenen Amour fou?

Das im Vergleich zum Original versöhnlich ausfallende Ende scheint diesen Gedanken zunächst zu bestätigen. Was aber, wenn es Breillat im Unterschied zu el-Toukhy nicht um die Darstellung einer Frau geht, der ihr Hochmut (beinah) zum Verhängnis wird, sondern um die einer Frau, die sich so leichtsinnig wie sinnenfreudig in eine Situation manövriert, aus der sie nur noch um den Preis allgemeinen Verrats herausfindet? Wenn also der Schwerpunkt verschoben ist, weg von der geschlossenen Mauer der Erwachsenen, die in Dronningen den Untergang des Jungmanns zur Folge hat, hin zu Einzelzellen, in denen schließlich jede Figur in ihrer eigenen selbst hergestellten Hölle schmort? Denn die Freudlosigkeit und Vereinzelung, die während der sexuellen Begegnungen zwischen Anne und Théo ersichtlich wird (auch zwischen Anne und Pierre prickelt es nicht gerade), zeugt von einem grundlegenden Egoismus der Beteiligten. Zu sehen sind Körper, die sich aneinander abarbeiten – und denen, sofern bedroht, jedes Mittel der Verteidigung recht ist. Reduktion auf den Instinkt, Erosion des Vertrauens, Umschlag von Liebe in Hass, Gewalt in unterschiedlichen Erscheinungsformen. All dies liegt im goldenen Sommerlicht wie unter einem Brennglas. Und so ist L’été dernier am Ende doch eindeutig ein Film von Catherine Breillat und hat der Blick der Filmemacherin auf die Triebkräfte des Menschlichen an Schärfe nichts eingebüßt. Breillat präpariert die immer wieder schmerzhaft ins Leere laufende Sehnsucht nach dem Erkannt- und Akzeptiertwerden, das dringliche, doch ein ums andere Mal enttäuschte Bedürfnis nach dem existenziellen Aufgehobensein im Anderen, das Verlangen nach Entgrenzung und Auflösung, das lediglich im Orgasmus sekundenkurz befriedigt wird. Mitleidlos präsentiert sie, wie das Individuum in der Liebe immer nur sich selber sucht – und so wahr das ist, so schauderhaft ist es anzusehen.

 

Im letzten Sommer / L’été dernier
FR 2023, Regie Catherine Breillat
Mit Léa Drucker, Samuel Kircher, Olivier Rabourdin
Laufzeit 104 Minuten