Hochexplosives Ränkespiel

Mehr als ein Polit-Thriller: „Die Kairo Verschwörung“ – im Kino

Saleh, Die Kairo Verschwörung
Die Kairo Verschwörung, 2022, Tarik Saleh

„Die Kairo Verschwörung“ von Tarik Saleh: topaktueller Polit-Thriller und Machtstudie in Form einer „edúcation sentimentale“ – jetzt auch in AT im Kino.

Die Azhar-Universität in Kairo, eine der ältesten und bedeutendsten islamischen Hochschulen der Welt – sie nahm 988 den Lehrbetrieb auf – hat es sich zur Aufgabe gemacht, das islamische Erbe nicht nur zu bewahren, zu studieren und zu verbreiten, sondern auch für die jeweilige Gegenwart fruchtbar zu machen. Als religiös verwurzelte Institution ist sie nominell von der politischen Sphäre geschieden; freilich aber bemühen sich religiöse wie politische Kräfte nichtsdestotrotz, auf die jeweils anderen Einfluss zu nehmen, denn nicht zuletzt geht es hier auch um sehr viel Macht.

Adam, Held von Tarik Salehs aktuellem Film Die Kairo Verschwörung (Walad min al-Janna), bekommt die Untiefen des universitären Betriebes bereits kurz nach seiner Ankunft bedrohlich zu spüren. Dabei hatte er sich eben noch so ganz besonders glücklich geschätzt, er, der Fischersohn aus bescheidenen Verhältnissen, den der Imam seines Dorfes in der Provinz für ein Stipendium an der renommierten Hochschule vorgeschlagen hatte. Das Adam dann auch tatsächlich bekommen hat; sogar der gestrenge Vater, der Bildung einfacher Leute gegenüber eher skeptisch eingestellt, konnte nicht anders als geehrt sein.

Saleh, Barhom, Die Kairo Verschwörung
Tawfeek Barhom

Und so kommt Adam in freudiger Erwartung an die Universität in der großen Stadt. Ein leicht zu beeindruckendes, ebenso leicht einzuschüchterndes Landei, das die Mächte sich alsbald zum Spielball erküren. Adams Antritt seines Studiums nämlich fällt mit dem Eintritt eines Machtvakuums an der Azhar zusammen: Der langjährige Groß-Imam und Vorsteher der ehrwürdigen Institution erleidet während einer Rede einen Schwächeanfall und verstirbt – und schon steht die Frage im Raum, wer den vakant gewordenen Posten übernehmen und in wessen Interesse weiterführen soll? Und schon regen sich allerorten allerhand Begehrlichkeiten und reichen von den radikal-islamischen Kräften über die gemäßigt Neutralen bis zu jenen, die das religiöse Institut endlich unter die Fuchtel der Regierenden bringen wollen. Und schon tritt die Geheimpolizei auf den Plan und nimmt ein paar Fäden in die Hand, um das führerlose Schiff in die gewünschte Richtung zu steuern; wozu hat man schließlich Spione unter die Studenten geschleust.

Ein Haifischbecken ist nichts gegen diesen Laden, aber Adam ist schließlich Fischer und unter seiner Zurückhaltung liegt ein messerscharfer Verstand sowie ein beeindruckendes Vermögen zur gedanklichen Durchdringung komplexer Sachverhalte, seien diese nun konspirativer oder philosophischer Natur. Das merkt allerdings die Zuschauerin erst ebenso allmählich wie der dubiose Agent, der sich den Frischlings-Studenten aus der Pampa zum vermeintlich leicht zu handhabenden Werkzeug gewählt hat und ihn alsbald in Todesgefahr bringt. Denn auch wenn hier alle immerzu zu beten scheinen, sind die Samthandschuhe doch rasch ausgezogen, wenn die Pfründe auf dem Spiel stehen.

Mit seiner Darstellung eines hochexplosiven Ränkespiels unterschiedlicher muslimischer Fraktionen ist Die Kairo Verschwörung topaktuell; und doch ist die Geschichte nicht datiert, „weil in Ägypten der Kampf zwischen dem Priester und dem Pharao zeitlos ist“, wie der 1972 als Sohn eines Ägypters und einer Schwedin in Stockholm geborene Saleh in einem Interview erläutert. Gedreht wurde übrigens in Istanbul in der Türkei, gilt Saleh in seinem Vaterland doch seit Längerem als persona non grata. Bereits Die Nile Hilton Affäre, mit dem er 2017 einen großen internationalen Erfolg feierte, entstand im marokkanischen Casablanca; der Film handelt von der Ermordung einer Libanesin durch einen ägyptischen Politiker im titelgebenden Hotel in Dubai und den anschließenden Bemühungen offizieller Stellen, das Verbrechen zu vertuschen.

Beide Filme zeichnen sich durch die große Ruhe, ja geradezu Bedächtigkeit aus, mit der sie sich einem Machtapparat nähern und ihn Schicht um Schicht gnadenlos sezieren. Sie entblößen Korruption, Egoismus, Doppelmoral, und keine geringe Spannung ergibt sich aus Adams zunehmender Desillusionierung. Das soll der Leuchtturm der islamischen Wissenschaft sein?! Am Ende ist Die Kairo Verschwörung nicht lediglich ein Polit-Thriller, sondern die „éducation sentimentale“ eines jungen Mannes mit reinem Herzen, der, vielleicht, gerade nochmal knapp davon kommt.

 

Die Kairo Verschwörung / Walad min al-Janna
SE/FR/FI/DK 2022, Regie Tarek Saleh
Mit Tawfeek Barhom, Fares Fares, Yunus Albayrak
Laufzeit 129 Minuten