„Evil Dead Rise“: Die notorische Evil-Dead-Splatter-Reihe setzt zu einer neuen Ausbaustufe an, ersetzt Jugendliche durch Kinder und nervt mit ihrem Sounddesign – jetzt in AT und DE im Kino.
Mit Kindern in Horrorfilmen ist das ja so eine Sache. Entweder sind sie die Bösen (siehe The Omen, 1976) oder sie fallen den Bösen zum Opfer (Beispiel Poltergeist, 1982) oder sie werden vom Bösen zum Werkzeug gemacht (vergleiche hierzu den Evergreen The Exorcist, 1973, oder, derzeit topaktuell, The Pope’s Exorcist); so gut wie nie aber kommen sie ungeschoren davon beziehungsweise bleiben Staffage im Hintergrund, und daher hat man in jedem Falle ein Problem mehr, wenn ein Kind in einem Horrorfilm mitspielt. Von wegen Identifikation und Sorge und Mitgefühl und so, und weil die Schwachen und die Unschuldigen vor Unbill zu schützen bekanntermaßen unser ganzes Sinnen und Trachten sein sollte, wenn wir als taugliche Exemplare der Gattung Mensch durchgehen wollen.
Und ich rede hier noch gar nicht von der Produktionsebene, auf der man es mindestens problematisch finden kann, dass ein kleines Kind – die jüngste Darstellerin im vorliegenden Fall ist zehn Jahre alt – Situationen spielt, die alle nur erdenklichen Arten und Weisen von Grausamkeit und Brutalität zum Ausdruck bringen. Denn Angst und Schrecken zu erregen, sind die hehren Ziele des Horrorgenres und wenn dies einem Vertreter desselben nicht gelingt, dann hat er versagt. Da gibt es kein Drumrum und kein Vertun.
The Evil Dead nun hatte bislang mit Kindern nichts am Hut. Der Meilenstein des Splatterhorrors – 1981 von engagierten Newcomern unter der Leitung von Sam Raimi gedreht, 1987 und 1992 um Sequels (Evil Dead II und Army of Darkness) erweitert und 2013 schließlich von Fede Álvarez durchaus mit Erfolg einem Remake unterzogen –, dieser Meilenstein also wählte sich zum Ziel einer dämonischen Besessenheit keine Kinder, sondern sexuell aktive junge Menschen an der Schwelle des Erwachsenseins. Die sind schließlich alt genug, um zu wissen, was sie tun. Respektive wenigstens zu wissen, dass sie sich die Resultate ihres Tuns selbst zuzuschreiben haben. Man liest nun mal nicht ungestraft laut aus dem in Menschenhaut gebundenen Buch der Toten Beschwörungsformeln in unbekannter Sprache vor. Erst recht nicht, wenn sich dieses Buch im Keller einer rumpeligen Hütte mitten im Wald findet, dessen Falltür mitten in der Nacht und wie von Zauberhand mit einem Male aufschlug. Wir erinnern uns mit leiser Wehmut an das Schlachtfest, das dann folgte. Gradlinig und kompromisslos. Hemdsärmelig und auf den Punkt. Heutzutage eher selten.
Lee Cronins Evil Dead Rise nun unterscheidet sich von seinem ehrwürdigen Vorfahr signifikant. Was – so die Verantwortlichen (Sam Raimi, Bruce Campbell, Cronin) gegenüber Branchenblättern – darauf zurückzuführen ist, dass das Evil Dead-Franchise ausgebaut werden soll, um sodann alle zwei bis drei Jahre eine Fortsetzung ausspucken zu können; eine thematische Öffnung sei da unabdingbar. Gruselig!
Klar, es gibt auch in Cronins Unterfangen immer noch das Buch, und es gibt natürlich auch den Deppen, der daraus vorliest (hier: eine Schallplatte abspielt), sowie die böse Macht, die daraufhin ohne langes Fackeln das Unterste zuoberst beziehungsweise das Körperinnere nach Außen kehrt. Nur liegt der Schauplatz des Gemetzels diesmal in der Großstadt, in einer heruntergekommenen Mietskaserne, in der die Mühseligen und die Beladenen hausen. Und die Fleischbeilage in Evil Dead Rise liefert eine dysfunktionale Familie, gebildet aus zwei semi-entfremdeten Schwestern – die eine führt als Gitarren-Verantwortliche (Groupie? Roadie?) bei einer Rockband das harte Leben und hat kürzlich entdeckt, dass sie schwanger ist, und die andere hadert als nunmehr alleinerziehende Mutter damit, dass der Vater sie und ihre drei Kinder vor nicht allzu langer Zeit verlassen hat. Jene drei Kinder sind es auch, die das Buch entdecken, als ein Erdbeben in der Tiefgarage des Hauses den Zugang zu einem geheimen Raum öffnet … was ein bisschen bescheuert anmutet, aber egal. Wie Kinder halt so sind, nehmen sie das Zeug mit nachhause. Wo es kommt, wie es kommen muss und Single Mom zügig zum Muttermonster mutiert, das sich die Nachkommenschaft im Wortsinne einverleibt. Behindert von der schwangeren Schwester, die dergleichen Mutterfreuden ja erst noch entgegen sieht und sich daher dem herbeimutierten Familienkörper vorläufig lieber noch nicht anschließen möchte.
Am im Kontext des Splattergenres relevanten, sogenannten Gore-Faktor gibt es im Großen und Ganzen nichts zu meckern; rasch notorisch wurde zum Beispiel der zum Einsatz gebrachte Gemüsehobel, und selbstverständlich findet sich auch die unabdingbare Kettensäge ein, sie tritt zum Showdown an gegen einen mächtigen Häcksler. ABER: Ein Sounddesign, das jede Bewegung mit donnerndem Getöse begleitet und alle paar Sekunden ein Jumpscare-Geräusch förmlich explodieren lässt, ist nicht nur einfallslos, sondern grenzt an Körperverletzung. Zumal wenn man sich den Film in einem jener heutzutage Standard gewordenen High-End-Kinos mit Super-Duper-Rundum-Krawall anschaut. Anders gesagt: Wenn ich Ohrstöpsel benutzen will, gehe ich auf ein Punk-Konzert. Und das mit den Kindern hat sich mir auch nicht erschlossen … Welchen Gore-Nerd soll denn bitte eine bedrohte kleine Prinzessinnen-Unschuld anturnen? Wir sind doch hier nicht im Märchen!
Evil Dead Rise
USA/NZ/IE 2023, Regie Lee Cronin
Mit Lily Sullivan, Alyssa Sutherland, Morgan Davies, Jayden Daniels, Nell Fisher
Laufzeit 97 Minuten