Fallende Blätter

Der zärtlich solidarische neue Kaurismäki – im Kino

Kaurismäki, Fallende Blätter
Fallende Blätter, 2023, Aki Kaurismäki

„Fallende Blätter“: Ein Besuch im Paralleluniversum von Aki Kaurismäki, in dem man sich nostalgisch oder wie zuhause fühlen kann. Jetzt in AT und DE im Kino.

Schön, wenn man sich in den Bildern auf der Leinwand gleich heimisch fühlen kann. Die Filme Aki Kaurismäkis bilden ein schönes Paralleluniversum, das durch sozialrealistische Kargheit immer verbunden bleibt mit der Wirklichkeit außerhalb des Kinos. Eine Zwischenwelt, verankert in einem festen Set an Momenten und Motiven, die in den Filmen Kaurismäkis immer wiederkehren: wortkarge Menschen, die sich nicht viel mitzuteilen haben, auch wenn sie einander sehr zugetan sind; eine leicht entrückte Farbgebung, viel Alkohol, viele Zigaretten, depressive Grundstimmung bei einem gleichzeitig präsenten Humanismus, der Happy Ends ganz gerne hat.

In Aki Kaurismäkis neuem Film Fallende Blätter / Kuolleet lehdet ist all das wieder in aller Direktheit präsent. Das Setting wirkt wie aus der Zeit gefallen und selbstreferenziell. Immer wieder tauchen Filmplakate im Bild auf, Nouvelle Vague, Pasolini, Menschen sprechen über Godard und Bresson. Aber die Sechzigerjahre sind das trotzdem nicht, es ist mehr das Finnland seiner Kindheitserinnerung, und in den Kneipen, in denen die Menschen hier mehr oder weniger schweigend sitzen, werden alte, ungemein schwergängige Chansons gespielt. Im Kino, das Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen) während ihres ersten Dates besuchen, läuft Jim Jarmuschs The Dead Don’t Die von 2019, und jedes Mal, wenn in Fallende Blätter jemand das Radio anstellt, dringen Nachrichten aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine in diese künstliche Welt.

Kaurismäki, Fallen Leaves

Das Setting und die Atmosphäre, das Parallelwelthafte bestimmen dann auch Fallende Blätter. Erzählt wird eine ganz einfache, unspektakuläre Geschichte. Ansa verliert ihren prekären Mistjob im Supermarkt, nachdem sie abgelaufene Lebensmittel hat mitgehen lassen. Zwei Kolleginnen kündigen aus Solidarität, und die sogenannten kleinen Leute sind auch hier wieder die, die die Last und die Ungerechtigkeit der Welt auf ihren Schultern tragen. Wie so oft in den filmischen Universen Kaurismäkis halten sie mit Solidarität und karger, dadurch irgendwie selbstverständlicher Herzenswärme dagegen. Was in diesem Geschichten und Bildern an Kitsch stecken könnte, bremst Kaurismäkis Inszenierung durch die überbetont karge Inszenierung aus.

Ansa und Holappa treffen und verlieben sich still ineinander, er hat ein Alkoholproblem und ist depressiv, Ansa hat gleich den nächsten Job verloren, nachdem der Besitzer der Kneipe, in der sie Gläser wäscht, wegen Dealerei von der Polizei eingesammelt wird. Der Zettel mit der Telefonnummer, den Ansa Holappa gibt, weht im Wind davon, und die beiden finden sich nicht wieder.

Aber auch für Fallende Blätter gilt das gleiche wie für die übrigen Filme Kaurismäkis, insbesondere für die Proletarische Trilogie – Schatten im Paradies (1986), Ariel (1988) und Das Mädchen aus der Streichholzfabrik (1989): Die Depression der Figuren ist nicht die Depression des Films. Die Bilder halten fest am Humanismus und an der Liebe zum unerlösten Menschen. Am Ende lächelt Ansa sogar einmal. Ken Loach zum Beispiel hätte aus diesem Plot ein sozialkritisches, agitatorisches Rührstück gemacht. Bei Aki Kaurismäki wird all das erneut zu einem spröden, abgeklärten Plädoyer für Zärtlichkeit und Solidarität.

 

Kuolleet lehdet / Fallende Blätter
Finnland 2023, Regie & Drehbuch Aki Kaurismäki
Mit Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen
Laufzeit 81 Minuten