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„Dark Waters“: drängendes Drama, großes Kino auf Sky

Mit „Dark Waters“ gelang es Todd Haynes, aus einem juristischen Stellungskrieg ein relevantes Sozialdrama und zugleich ein großes Stück Kino zu machen – über einen der größten Umweltskandale der US-amerikanischen Geschichte. Der Film hat unter dem Titel „Vergiftete Wahrheit“ den Deutschen Synchronpreis 2021 gewonnen, ausnahmsweise empfehlen wir also nicht nur die amerikanische Originalversion.  

Während Weltklimabotschafter von Greta Thunberg bis Arnold Schwarzenegger in flammenden Umweltschutz-Appellen unter viel Beifall die Politik vor sich herzutreiben suchen, probiert es dieser Film mit einer juristisch komplexen, aber äußerst eindrücklichen Geschichte über einen unbekannten, anfangs blassen Helden. Eigentlich taugt er gar nicht zum Idol, dieser Robert Bilott (herausragend gespielt von Mark Ruffalo): Er ist ein Papiertiger, ein braver Ehemann und Familienvater. Zu Beginn des Films, wir schreiben 1998, will Rob als neuer Partner seiner großen Wirtschaftsanwaltsfirma im Grunde wenig mehr als ein guter Amerikaner zu sein und seinen in flotter Folge auf die Welt kommenden Söhnen einen gesicherten Start in ein wohlständiges Leben zu ermöglichen.

Natürlich kommt es anders, nämlich in der Person eines grantigen Farmers (grandios: Bill Camp). Der schneit eines schönen Tages, natürlich während eines wichtigen Meetings, im Headquarter von Robs Anwaltsfirma in Cincinnati herein und fordert Rob, der bislang auf Seiten von Chemie-Unternehmen um Recht gestritten hat, dazu auf, sich ausnahmsweise einmal um den sprichwörtlichen kleinen Mann, also um ihn zu kümmern. Zumal dieser kleine Mann ein Bekannter seiner Großmutter ist und auf seiner Farm am Rand der Kleinstadt Parkersburg, West Virginia, zusehen muss, wie seine Kühe qualvoll verenden. Sobald man nun gemeinsam mit Rob diese wahnsinnig gewordenen Tiere und arg metastasierten Kadaver vor Augen geführt bekommt, muss man kein Tierrechtsaktivist sein, um sich bewusst zu machen: Der Grantler hat allen Grund zum Granteln. Womöglich kann er gar nicht mehr anders, denn auf seinem Grundstück hat sich Gift breitgemacht.

Bill Camp, Mark Ruffalo in Dark Waters

Ein Gutteil von Dark Waters, der übrigens durch eine ausnehmend schöne Prologsequenz an dunklem Wasser besticht (und auch sonst hat Kameramann Ed Lachman den Film in wunderbar gedämpfte Farben getaucht), dreht sich nun um die Recherche, wie dieser gravierende Umweltschaden verursacht und über Jahrzehnte vertuscht wurde. Als der Verursacher des Giftmülls, schlimmer noch: als der über Leichen gehende Bösewicht stellt sich der Chemie-Riese DuPont heraus, aber wie soll man das vor Gericht beweisen? Dazu ist DuPont blöderweise einer der wichtigsten Klienten von Robs Anwaltsfirma. Für Robs Boss und freundschaftlichen Mentor Tom (Tim Robbins) mutiert der Fall somit zur schwierigsten Loyalitätsprüfung seiner Karriere, denn Rob will den Fall unbedingt übernehmen. Nachdem Rob den zuständigen DuPont-Manager (Victor Garber) öffentlich zur Rede gestellt und gerichtlich die Herausgabe wesentlicher interner Dokumente erwirkt hat, landet – eine beliebte Strategie klagsbedrohter Konzerne – eine Lastwagenladung voller Aktenkisten in seinem Büro. Aber allein, wie er die ersten Kisten auspackt und sich mit zehntausend Zetteln im Schneidersitz auf den Boden setzt, lässt ahnen, dass dieser leise, sympathische Mann als Aktenwühlmaus einen gründlichen Job machen und, obwohl sein Gegner Corporate America heißt, so bald nicht aufgeben wird.

Dark Waters basiert auf der im Jänner 2016 im „New York Times Magazine“ erschienenen Story „The Lawyer Who Became DuPont’s Worst Nightmare“ von Nathaniel Rich. Bis er zum Albtraum seines übermächtigen Gegners wurde, hatte Robert Bilott allerdings Sträuße mit seiner Frau Sarah auszufechten (Anne Hathaway macht das Beste aus einer eher undankbaren Rolle), einen Jahrzehnte währenden zermürbenden Kampf zu führen, gesundheitliche Probleme und selbst so manchen Albtraum zu überstehen. Bis heute vertritt er Geschädigte der „Teflon-Firma“ DuPont. Der Film erinnert mittendrin daran, dass es einst eine breite mediale Diskussion über den krebserregenden Effekt zerkratzter Teflonpfannen gegeben hatte, die Gefahren für die Mitarbeiter an der Herstellung und die Umweltschäden durch in den Ohio River geleiteten Giftmüll aber marginalisiert wurden.

Es ist das Verdienst der Drehbuchautoren Mario Correa und Matthew Michael Carnahan und des Spielleiters Todd Haynes, dass der auf prozessuale und auf chemische Fragen („What the fuck is PFOA?“, fragt Rob, der im Chemie-Unterricht geschlafen hat, sich selbst) konzentrierte Teil des Films so nachvollziehbar und spannend geworden ist. Dark Waters bedient sich keiner drastischen Thrillerdramaturgie (wie einst zum Beispiel der thematisch verwandte Michael Clayton mit George Clooney), sondern zeigt seinen unspektakulären Helden als Stehaufmännchen. Nach jedem Rückschlag widmet er sich erneut der Sache seiner Parkersburger Mandanten – aus dem Einzelfall ist nämlich unterdessen eine Sammelklage geworden. Und er zeigt, wie sich solch obsessives Engagement auf das eigene Familienleben auswirkt.

In einem Partner-Meeting in Robs Anwaltsfirma fallen an einem Wendepunkt der Geschichte jene Schlüsselfragen, die für einen sozial relevanten Film der Firma Participant kennzeichnend sind: „Is this how we want America to be? Is this the world we wanna live in?“ Dabei zerreißt sich Rob gar nicht so sehr zwischen Moral und Kapital, sondern wird einfach fortlaufend zu persönlichen Entscheidungen gezwungen: Kümmere ich mich mehr um die eigene Familie oder helfe ich einer Gesellschaft der Wehrlosen? Persönliches Risiko oder ökonomische Sicherheit? Bis zum Herzkasperl für die Klienten aufreiben oder Einsicht in die Aussichtslosigkeit des verbissenen Treibens? Es sind einige der großen Fragen des Lebens und des Kinos, welche Dark Waters seinem Publikum stellt und anhand des Schicksals der Bilotts in fein dosiertem Drama und streckenweise in an Spotlight erinnernder Nüchternheit durchdekliniert – wobei das Schlussplädoyer natürlich für das Engagement des Individuums gegen das ungerechte, repressive System ausfällt. Mark Ruffalo, auch offscreen sozialer Aktivist, war das Projekt ein Herzensanliegen, er hat den Film auch mitproduziert.

Ruffalo ist ein konträrer Typ zu Julia Roberts in Erin Brockovich, auch wenn die Agenden der beiden einander ähnlich sind. Er ist im Grunde ein milder Geist, kann aber auch seine Fäuste ballen. Wie in Spotlight (u.a. mit Ruffalo) überzeugt fast das gesamte Ensemble, für wichtige Nebenrollen schlossen sich auch Bill Pullman und Mare Winningham dem exzellenten Cast an. Dass Ruffalo den virtuosen Todd Haynes – der Meister des Melodramas (Far from Heaven, Carol) ist gewissermaßen ein Genre-Newcomer – als Regisseur engagiert hat, kommt Dark Waters zugute: Die menschlichen Schicksale der Stadt Parkersburg, auch den Zwiespalt der Stadt zwischen Arbeitsplatz und Gesundheit, stellt er klug, ziemlich naturalistisch, einfühlsam, aber beherrscht dar und entwertet sie nicht durch emotionalen Überlauf. Er entspricht damit auch Robs Haltung, die schwierige Sache über mehr als 20 Jahre durchzuziehen. Einmal braucht Rob einfach nur eine flüchtige Begegnung an der Tankstelle, um sich daran zu erinnern, was ihn zum Fall seines Lebens getrieben hat. Denn im Grunde hat Robert Bilott etwas ganz Naheliegendes getan: Er hat seinen beruflichen Hintergrund dazu genutzt, den unglücklichen Leuten aus jenem Ort zu helfen, an dem er selbst die glücklichsten Sommer seiner Kindheit verbracht hat.

(Dies ist eine gekürzte Fassung des letzten Textes, der von Roman Scheiber im „ray“ erschien. Mit den besten Wünschen für den Fortbestand des Magazins.)

 

Dark Waters
USA 2019, Regie Todd Haynes
Mit
Mark Ruffalo, Bill Camp, Tim Robbins, Anne Hathaway, Victor Garber, Mare Winningham, Bill Pullman
Laufzeit 126 Minuten