Das Tier im Dschungel

Nachtleben-Atmosphären-Kino von Patric Chiha

Chiha, Das Tier im Dschungel
Das Tier im Dschungel, 2023, Patric Chiha

„Das Tier im Dschungel“: Patric Chihas Konzeptfilm tanzt durch die Club-Geschichte Westeuropas und entfaltet nur auf großer Leinwand seine immersive Wirkung.

Ein Film als Zustand. Im Atmosphärenkino rückt der Plot in den Hintergrund und lässt sich meist in wenigen Sätzen zusammenfassen. Im Fall von Das Tier im Dschungel: May (Anaïs Demoustier) und John (Tom Mercier) lernen sich 1979 in einem Pariser Club kennen. May tanzt mit ihren Freundinnen und Freunden, das Leben ist schön, John ist eher der Typ Eckensteher. Und ein geheimnisvoller noch dazu. Er habe sie schon einmal getroffen, behauptet er, und dass etwas geschehen werde, ein Ereignis. May entscheidet sich für ihn. Und für den Club. In den kommenden 25 Jahren warten er und May, jede Samstagnacht, in einer undefinierten, platonischen Liebe miteinander verbunden, auf etwas, von dem sie nicht wissen, was es ist.

Regisseur Patric Chiha, in Wien geboren und seit Jahren schon in Paris lebend, hat eben dort Modedesign studiert, bevor er Filmemacher geworden ist, und seine Ausbildung sieht man Das Tier im Dschungel an. Das Szenenbild ist das Zentrum des Films, tanzende Menschen in hypnotisch verlangsamten oder dokumentarisch gebauten Sequenzen, einmal durch die Club-Geschichte und damit durch die Geschichte des westeuropäischen Nachtlebens. Disco, Techno, die Outfits ändern sich, die jeweils dominierenden Drogen auch. Die Club-Szenen – und Chihas Film spielt fast ausschließlich auf und im Umkreis der Tanzfläche – entfalten, wenn man sich von den Bildern mitnehmen lässt, eine starke immersive Wirkung.

Am Rand sitzen John und May. Und warten. Der Zustand, der hier in Szene gesetzt wird, ist der eines ständigen Aufschubs. Wobei Das Tier im Dschungel sowohl offen lässt, was aufgeschoben, wie auch, auf was gewartet wird. Das verleiht all dem etwas sehr Abstraktes, was man dann je nach Neigung und Laune angestrengt verkünstelt oder konzeptuell interessant finden kann. Zusammengehalten wird das Ganze von der Türsteherin des Clubs (Béatrice Dalle), die das Nicht-Geschehen über ein Vierteljahrhundert als allwissende Erzählerin per voice over kommentiert. Und von einen Mann, der im Eingangsbereich der Club-Toilette sitzt und ohne Weiteres einem David-Lynch-Film entsprungen sein könnte.

Nicht so gut hingegen funktionieren die Versatzstücke, in denen etwas erzählt werden soll. Ein kleines Eifersuchtsdrama zum Beispiel muss versanden, wenn die Figuren nicht in ihrer Emotionalität, sondern sozusagen als Ideen präsent sind.

Aber darauf kommt es Chiha offensichtlich auch nicht an. Es scheint primär um den Sog der Bilder und der Musik zu gehen. Das Tier im Dschungel ist ein Kinofilm und funktioniert auf dem Bildschirm bestenfalls halb so gut. Man bekommt ein Gespür für den Club als Parallel- und Gegenwelt. Das Außen spielt kaum Rolle in der leeren Welt dieses unglücklichen Paares. Nur gegen Ende flimmern die Bilder von 9/11 über einen Bildschirm. Das finale Ende ist dann natürlich erwartbar traurig. Ein melancholisches Bild, das Chiha der gleichnamigen literarischen Vorlage von Henry James entnommen hat, das Bild eines nicht-gelebten Lebens.

 

Das Tier im Dschungel
FR, BE, AT 2023, Regie Patric Chiha
Mit Anaïs Demoustier, Tom Mercier, Béatrice Dalle
Laufzeit 103 Minuten