Bi-Ba-Butzemann

Familiäres Trauer-Arrangement in Stephen-King-Manier: „The Boogeyman“ – im Kino

Savage, Thatcher, The Boogeyman
The Boogeyman, 2023, Rob Savage © Patti Perret, 20th Century Studios.

„The Boogeyman“: Die Stephen-King-Adaption von Rob Savage biegt nach langer Schwebespannung in eine lange Zielgerade fleischgewordenen Schreckens ein. Jetzt in AT und DE im Kino.

Jedes Kind weiß: Unter dem Bett und in den Wandschränken lauert die Gefahr, dort verstecken sich die Monstren und die Unholde, die Gespenster und der Schwarze Mann. Letzteren kennt man auch als Nachtgiger oder Nachtkrabb, als Bi-Ba-Butzemann ist gleichfalls nicht mit ihm zu spaßen und den Boogeyman fürchten vor allem die englischsprachigen Kurzen. Diese vielgestaltigen Schwarzen Männer also stecken im Schatten und in der Dunkelheit und lauern auf ihre kleinen und wehrlosen und unschuldigen Opfer. Die wiederum beim Zubettgehen, von Angst und Panik erfüllt, ihren Erziehungsberechtigten mit dem Verlangen nach angeschalteten Lampen und offenen Kinderzimmertüren auf den Wecker fallen sowie der Bitte, abschließend noch unters Bett und in den Wandschrank zu schauen. Denn jedes Kind weiß, dass die Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist. Hingegen weiß jede:r Erwachsene mit durchschnittlicher Horrorfilm-Erfahrung, dass sie vergebene Liebesmüh ist, wenn der Boogeyman tatsächlich im Wandschrank lauert.

Von dieser Prämisse ausgehend, ist der Beginn von Rob Savages The Boogeyman vielversprechend. Unheimliches Gewimmer und Geflüster, diffuses Gekratze und Gekrächze, während ein Kleinkind im Laufstall zunehmend irritiert in die Gegend kuckt; es ist Nacht und die Schatten hängen tief. Dann kommt es wie es kommen muss, nämlich nicht zur Rettung in letzter Sekunde – was als klare Ansage zu verstehen ist: Publikum, schnall dich an, wir meinen es ernst!

Savage, Messina, The Boogeyman
Chris Messina

Im Weiteren liegt der Schwerpunkt auf dem Atmosphärischen, das sich speist aus der psychischen Verfasstheit der Hauptfiguren: Vater Will (Chris Messina) und seine zwei Töchter Sadie (Sophie Thatcher) und Sawyer (Vivien Lyra Blair), die soeben Frau bzw. Mutter verloren haben; die Trauer ist tief und reicht vor allem bei Teenagertochter Sadie ins Depressive. Dass der Vater als Psychotherapeut arbeitet, zieht dem familiären Trauer-Arrangement einen doppelten Boden ein, insofern die Psychologie doch immer eine plausible Erklärung findet für’s fantastische Geschehen: Im Zweifelsfalle ist es Trauma-induziert. So bleibt lange in der Schwebe, ob der verzweifelte Mann, der bei Will eines Nachmittags in der Sprechstunde sitzt, „nur“ unter Wahnvorstellungen leidet oder tatsächlich heimgesucht wird von einer mordlustigen Macht.

Da wir es aber bei The Boogeyman mit der Verfilmung einer 1978 erschienenen, gleichnamigen Kurzgeschichte von Stephen King zu tun haben, ist auch klar, dass der Psychokram nicht weit trägt, beziehungsweise nicht taugt zur letztlichen Aufklärung der Ereignisse. Denn King – alle, die seine Bücher lesen, wissen’s und können’s beklagen – glaubt an das leibhaftige Monster. Respektive nutzt den Fleisch gewordenen Schrecken als schriftstellerische Strategie, d.i. Endpunkt und Aufklärung seiner Geschichten. Seine Trillionen Abnehmer:innen scheinen’s ihm immer wieder zu vergeben, und ich gestehe, dass auch ich immer wieder aufs Neue eins seiner Bücher zur Hand nehme und mich langelange tüchtig grusle – bis dann eben das Monster leibhaftig und die Chose langweilig wird.

So ist es auch in diesem Film. Mit dem Unterschied, dass es zwar nicht langweilig, aber doch allzu konventionell wird. Wo also zuvor beispielsweise das zünftig unheimliche Sounddesign für Gänsehaut und aufgestelltes Nackenhaar sorgte, heischt nunmehr der gute alte Jumpscare-Effekt und erntet Gähnen. Zugegeben, das ist betrüblich, unverzeihlich ist es nicht; zumal The Boogeyman das Versprechen seines Titels über weite Strecken einlöst. Gemessen am Gruselfaktor eines durchschnittlichen Horrorfilms ist das, wie die Aficionados des Genres wissen, eine Menge und das Beklagen des leiblichen Monsters daher Jammern auf hohem Niveau. Lassen Sie sich also, solcherart vorgewarnt, mit umso mehr Vergnügen auf die Schattenmalerei und Musikalität dieses Films ein. Erfreuen Sie sich an der Aufmerksamkeit, die den Schauspieler:innen zuteil wird, während sie den Raum zwischen Trauer und Psychose ausloten, den der Dämon sich zunutze macht. Und vergessen Sie nicht, unters Bett und in den Wandschrank zu schauen, bevor Sie sich schlafen legen.

 

The Boogeyman
USA 2023, Regie Rob Savage
Mit Sophie Thatcher, Chris Messina, Vivien Lyra Blair
Laufzeit 98 Minuten