Talk to Me

Aufsehen erregender Horror aus Australien – im Kino

Philippou, Wilde, Talk to Me
Talk to Me, 2022, Danny Philippou, Michael Philippou

„Talk to Me“ von Danny und Michael Philippou: der Glücksfall eines zugleich charaktervollen, sensiblen und mitreißenden Horrorfilms rund um ein Geisterbeschwörungsritual. Jetzt in AT und DE im Kino.

Seit seiner internationalen Premiere im Januar diesen Jahres beim Sundance Film Festival sorgt Talk to Me für Furore. Das Spielfilmdebüt der australischen Youtuber-Brüder Danny und Michael Philippou sei ein ungewöhnlich gelungener Horrorfilm, heißt es allerorten – und schon möchte man gähnen, ist dergleichen doch allzu oft zu lesen und zu hören und außer ein paar Jahrmarktserschreckern dann meist doch nichts gewesen. Im vorliegenden Falle aber ist die Begeisterung berechtigt, allen Fans des Genres sei Talk to Me eindringlich ans Herz gelegt. Und das Anschnallen bitte nicht vergessen, denn die beiden Philippous machen hier keine Faxen.

Wie wir alle wissen, sind es gerade die emotional Labilen, die den Monstren leicht zum Opfer fallen. Wer Kummer und Sorgen hat, ist abgelenkt vom Alltagskram und im Hier und Jetzt nicht fest verankert. Es ist dies ein Gemütszustand, den die Jenseitigen wittern und der sie magisch anzieht: Vielleicht lässt sich da ja ohne viel Aufwand ein eh schon aus der unmittelbaren Gegenwart entrückter Jemand in die eigene Sphäre hinüberziehen? Dergleichen (selbst)gefährdende, magnetische Wirkung geht nun von unserer Heldin aus, Teenagerin Mia, die mit dem eine Weile bereits zurückliegenden Tod ihrer Mutter immer noch schwer hadert – war es ein Unfall? Selbstmord? Mord gar? Tief ist ihr Unglück, in das sie sich nur immer tiefer noch verbohrt; mit dem Vater mag sie nicht reden, macht sie ihn doch auf diffuse Weise für ihren Verlust verantwortlich.

Da kommt ein unheimliches Mutproben-Spiel, das Mias jugendliche Bezugsgruppe auf eigens anberaumten Partys spielt, natürlich gerade recht. Eine einbalsamierte, abgetrennte Hand muss dabei ergriffen werden und bestimmte Worte gesprochen – was dann geschieht macht auf Clips im Netz die Runde, sieht grausig genug aus und ist als „Mikro-Besessenheit“ trefflich beschrieben. Was Teenies allein zuhaus halt so treiben, unbekümmert um die Folgen. Und man kann gar nicht so schnell „Lasst das lieber!“ denken, da stecken sie auch schon bis zum Hals in der, pardon, Scheiße. Denn als Riley, der Jüngste der Gruppe, es freilich auch einmal versucht, glaubt Mia den Geist ihrer Mutter aus ihm sprechen zu hören. Und weil sie nicht los lassen kann, lässt sie nicht los, und Riley bleibt hängen, und alle Rettungsversuche beschwören nur immer weiteren Schrecken herauf.

Ohne Umschweife schlägt Talk to Me ein rasantes Tempo an – und hält es; ebenso rasch wird es brutal und blutig – und bleibt es. In der Schilderung seines alles andere als banalen Schreckens ist dieser Film unnachgiebig und hart, ja geradezu grausam; dass derselbe einem aber derart einfährt, ist Charakterisierung und Schauspiel zu danken, zwei Zutaten also, mit denen das Horrorgenre allzu oft allzu sparsam umgeht. Diesmal nicht. Große Sorgfalt verwenden die Filmemacher auf sowohl die glaubwürdige Etablierung diffiziler (patchwork-)familiärer Bindungen als auch plausibler gruppendynamischer Prozesse, bevor sie beide Beziehungsnetze mithilfe machtvoller Erschütterungen in kleine Stücke reißen. Der Frage, was passiert, wenn aus dem Spiel Ernst wird, wird in Talk to Me mit unangenehmer Akribie wurzelbehandlungsmäßig nachgegangen. Wobei insbesondere Sophie Wilde hervorzuheben ist, die in der Rolle der Mia Verletzlichkeit und Verunsicherung mit dem Mut der Verzweiflung paart und ihre Figur zwischen zerbrechlich und zäh schwanken lässt. Ihre Tragödie besteht darin, dass sie das prädestinierte Opfer auch deswegen ist, weil sie sich standhaft weigert anzuerkennen, dass sie schon längst verloren hat. In geradezu herzergreifender Weise drückt sich darin der unerschütterliche Glaube der Jugend an die eigene Unverwundbarkeit und den guten Ausgang aus. Denn die Lebensgier ist groß in diesem Alter, in dem mit dem Tod spielerischer Umgang gepflegt werden kann, noch.

Furcht und Mitleid, das wusste schon der alte Lessing, der sich damit auf den noch viel älteren Aristoteles bezog, zeitigt im (Lichtspiel-)Theater die stärkste Wirkung reinigender Erkenntnis. Selbige könnte hier in etwa lauten: Wenn einem nicht nur ein kleiner Finger gereicht wird, könnte anschließend etwas mehr als nur die Hand fehlen.

 

Talk to Me
Australien 2022, Regie Danny Philippou, Michael Philippou
Mit Sophie Wilde, Joe Bird, Alexandra Jensen, Miranda Otto
Laufzeit 94 Minuten