Gefährdung des Selbst

Schreiend komisches Elend: „Sick of Myself“ – im Kino

Borgli, Sick of Myself
Sick of Myself, 2022, Kristoffer Borgli

„Sick of Myself“: Die sehr böse norwegische Komödie kreist um das Phänomen „Selbstaufwertung durch Opferstatus“ – jetzt in AT und DE im Kino.

Thomas und Signe sind ein Paar und zehren voneinander und von der Aufmerksamkeit der Welt. Er (Eirik Sæther) ist Künstler und Kleptomane, sie (Kristine Kujath Thorp) arbeitet im Café. Er bekommt seine Geltungssucht bereits realisiert, sie sucht noch nach einer Möglichkeit, um bewundert zu werden. Und Bewunderung ist in der Welt von Sick of Myself Ersatz für Liebe und der Wunsch nach ihr das, was die Figuren fürchterlich unangenehm und im Fall von Signe dann auch buchstäblich krank werden lässt. Die Szenen, in denen Thomas und Signe in Gesellschaft von Freunden aufeinander einhacken, gehören zum Quälendsten, was das Beziehungskino in den letzten Jahren aufgefahren hat: ein toxischer Ekelbert und ein ewiges Opfer im Ringen um die Aufmerksamkeit der Welt um sie herum.

Ein Hundebiss bringt die sehr verlassen wirkende Frau auf die Idee, dass Verletzungen und Opferstatus lohnenswerte Alleinstellungsmerkmale sein könnten. Sie schluckt ein in Russland hergestelltes, eigentlich schon vom Markt genommenes Medikament, und die erwünschten Folgen stellen sich bald ein: Hautlappen lösen sich vom Gesicht, Schluckbeschwerden, am Ende spuckt Signe Blut.

Sick of Myself
Eirik Sæther, Kristine Kujath Thorp

Autor und Regisseur Kristoffer Borgli erzählt aber nicht nur die Geschichte von zwei irgendwie singulären Figuren. Signes Selbstmedikation ist extrem, verdichtet aber exemplarisch etwas ab, was sich zurzeit häufiger beobachten lässt, in den Diskursen und an den Mitmenschen direkt: die Selbstaufwertung mittels Krankheit und Opferstatus.

Das lässt sich in der Konstruktion des Films, der vor allem eine wirklich sehr böse Komödie ist, aber natürlich auch ein Drama, besonders schön durchexzerzieren, weil das Opfer hier selbst verantwortlich ist für die Krankheit. Der Blick, den Sick of Myself auf seine Hauptfigur einnimmt, ist ein ungnädiger. Keine Zärtlichkeit, nirgends, in der, naja, Liebe von Thomas und Signe nicht, und auch nicht im Verhältnis von Kamera und beiden Hauptfiguren. Die nämlich werden mit einer geradezu sardonischen Lust und einem präzisen Gespür für Timing vorgeführt. Sick of Myself ist mitleidlos, macht großen Spaß und mobilisiert die Zuschaueraffekte und -gefühle aus dem unteren Drittel der moralischen Skala: Fremdscham, Häme, Ekel, wohlfeiles Staunen über die Beklopptheit anderer, die eigentlich eine psychische Erkrankung ist.

Nur in den Bildern der Wunschphantasien Signes taucht so etwas wie ein Schimmer auf, der ahnen lässt, dass hier ein radikal verlorener Mensch versucht, sich so etwas wie einen Platz in der Welt zu erstrampeln. Und dabei immer wieder ausgebremst und behindert wird von dem, was ihn antreibt, nämlich die eigene Geltungssucht.

Sick of Myself funktioniert als Gesellschaftssatire wie gesagt mindestens so gut wie als Beziehungselendsfilm. Opferstatus als Distinktionsmöglichkeit, Krankheit als Medium eines tiefgehenden, das Leben und die Beziehungen umfassend bestimmenden Narzissmus. Das alles läuft auf die radikale Vereinzelung hinaus, die im Narzissmus immer schon angelegt ist, als Möglichkeit und als Gefährdung des Selbst. Das Schlussbild von Sick of Myself ist dann auch tatsächlich ein sehr trauriges und anrührendes.

Das Bild prägt dann im Rückblick auch die Filmwahrnehmung noch einmal, wenn man aus dem Lachen wieder rausgekommen ist. Die Wege, die Signe kennt oder selbst zu gehen versucht, um Anerkennung, Bewunderung und am Ende dann eben doch auch Liebe zu finden und gehalten zu werden, führen an sich schon pfeilgrad in die Vergiftung – Modelkarriere, die Kunstblase. Der Narzissmus der Figuren artikuliert sich in einer Gesellschaft, die ihren Insassen genau das abverlangt: toll und wichtig sein, sich größer machen, als man ist, auch wenn einen das kaputtmacht.

 

Sick of Myself
Norwegen 2022, Regie Kristoffer Borgli
Mit Kristine Kujath Thorp, Eirik Sæther, Fanny Vaager, Fredrik Stenberg Ditlev-Simonsen
Laufzeit 97 Minuten