Fremdgesteuert

Blutiger Autorenhorror von Brandon Cronenberg: „Possessor“, auf Disc bzw. flat auf Sky

Possessor, 2020, Brandon Cronenberg

Der Horror-Apfel fällt nicht weit vom Stamm, schmeckt dann aber so eigenblutig wie fremdgesteuert: Brandon Cronenbergs „Possessor“ überzeugt als grimmige, obsessive Genre-Auteur-Arbeit.

Die Körper in­ den Filmen der Familie Cronenberg sind notorisch unzuverlässig. Zum einen Objekte von hochtechnisierten Zugriffen, zum anderen unkontrollierbare Leiber, die immer wieder ihr Recht fordern und die Subjekte sozusagen von innen heraus sprengen. Für den Geist gilt das gleiche, schon deswegen, weil die im Alltagsdenken wie auch in der westeuropäischen Philosophietradition verankerte Körper-Geist-Dichotomie im Hause Cronenberg kein Zimmer hat. In David Cronenbergs Scanners explodieren die Köpfe, weil die Gehirne (selbst Körperteile allerdings) es nicht mehr packen. Das Bild aber ist ein genretypisches: Blutmatsch segelt quer durch den Raum, es ist wirklich sehr ekelhaft alles. In Crash wollen die Körper mit Automobilen kopulieren. Auch wenn der Kopf anfangs noch skeptisch ist, am Ende gewinnt immer der Leib, und sei es, dass er wie in Die Fliege draufgeht und das Wissenschaftlergehirn, das sich an der Ordnung der Natur vergangen hat, mitnimmt.

Christopher Abbott, Tuppence Middleton in Possessor

So grob ab den Nullerjahren wechselte David Cronenberg langsam das Register und verabschiedete sich Stück für Stück vom direkten Body Horror. Unterschwellig sind seine Filme noch immer vom Körper her gedacht, auch wenn dieses Denken nicht mehr auf Splattertechniken zurückgreift, um seine Bilder zu finden. Vor ein paar Jahren hat der Sohn auf dieser Ebene übernommen, und deswegen ist es auch nicht unredlich, einen Text über Possessor, den zweiten Film von Brandon Cronenberg, mit einem Verweis auf das vermutlich in dieser Konstellation nicht zuletzt auch belastende Werk des Vaters zu beginnen. Possessor sei als „Film über fremdgesteuerte Menschen selbst vom Kino des Vaters fremdgesteuert und bis in offensichtliche Zitate geradezu davon besessen“, hat Thomas Groh nach der Premiere 2021 ganz richtig geschrieben.

Der Plot liest sich tatsächlich wie das Exposé zu dem Film, den Vater David nach eXistenZ hätte machen können, wäre er nicht Richtung Spider abgebogen. Eine Organisation tötet im Auftrag reicher Leute Menschen, indem sie das Bewusstsein der Killerin Tasya Vos (Andrea Riseborough) vorübergehend in den Körper eines anderen transplantiert, der daraufhin loszieht und mordet, was gemordet werden soll. Dann ein suizidaler Kopfschuss, kurz vor Exitus wird das Parasitenbewusstsein zurück in den eigenen Körper geholt.

Andrea Riseborough in Possessor

Possessor hat sich vorgenommen, ein veritabler mindfuck zu sein, und deswegen geht das alles natürlich nicht so glatt wie geplant. Parasiten- und Wirtsbewusstsein ringen miteinander. Als Tasya Besitz von Colin Tate (Christopher Abbott) ergreift, der seine Frau und seinen Schwiegervater (richtig eklig: Sean Bean) umbringen soll, damit der Auftraggeber den Konzern erben kann, vermischen sich die beiden mehr und mehr. Und für diese Vermischung konstruiert Cronenberg schöne, intensive Szenen, die eine eigene, dunkel-psychedelische Bildsprache erkennen lassen, wo der Plot, die Figuren und die kalte Rauminszenierung an das väterliche Frühwerk erinnern. Was aber auch keine schlechte Reminiszenz für einen Körperhorrorfilm ist; sondern im Gegenteil die denkbar beste.

In den Splatterdetails wird der Film dann richtig garstig, weggebrochene Zähne, rausgehebeltes Auge und so weiter. Die bräuchte es für die Wirkung des Ganzen aber nicht unbedingt. Die Pointe ist an sich beklemmend, auch wenn sie am Ende extra insistierend erklärt wird, bis auch wirklich jede:r es verstanden hat. So ganz fremdbestimmt nämlich ist das Morden nicht, es wird ausgeführt, was im Wirt schon angelegt ist, als vielleicht unbewusster Wunsch. Tasya zum Beispiel verwendet gerne Messer und Schürhaken anstatt aus der Distanz zu schießen. Und wenn Tasya/Colin im Finale nach Hause in die verhasste Reihenhaussiedlung kommen, wird Possessor dann richtig, richtig böse. Als wollte hier einer mittels Inszenierung der Zerstörung des Häuslichen Videodrome und Shivers in Sachen Grimmigkeit noch übertrumpfen. Und die oben herbeizitierte Besessenheit des Films vom Kino des Vaters schwingt bedrohlich mit. Schließlich geht es in Possessor zentral um den geheimen Wunsch zu zerhacken, was das eigene Leben prägt und beengt, sich mit allen Mitteln davon zu befreien. Dass es für diese Befreiung wiederum Besessenheit braucht, ist eine der Volten des Films.

(Auf Disc Uncut, Unrated etc. bei Turbine Medien bzw. flat auf Sky)

 

Possessor
Kanada/Großbritannien 2020, Regie Brandon Cronenberg
Mit Andrea Riseborough, Christopher Abbott, Sean Bean, Jennifer Jason Leigh
Laufzeit 104 Minuten